Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
schrecklichen Schönheit der Geistherrn gesprochen.
Das dunkle Haar fiel ihr lang über die makellose Haut. Als er wieder klar sehen konnte, erhaschte er hinter den Locken einen Blick auf ihren Körper und war wie verzaubert. Sie war vollkommen nackt, und ihre weichen Füße berührten Stein oder Moos ohne eine Reaktion – als wäre Schmerz nur für geringere Wesen. Schatten flossen von ihren Schultern und umkreisten ihren Kopf. Zum Glück konnte er nicht ganz in sie hineinschauen … und er kannte den Grund dafür.
»Schatten«, flüsterte er, als sein Zentrum die gefangenen Seelen offenbarte, die ihr folgten. Er konnte sie nicht zählen – es mussten Tausende sein. Plötzlich kam ihm das Grauen des Rossin nicht mehr ganz so groß vor.
Geister nährten sich hauptsächlich von den Seelen der Menschen, aber das war nicht alles, was ihnen Kraft gab. Gefühle wie Zorn und Liebe zogen sie häufig an, welche größere Nahrung konnte es also für einen Geistherrn geben als Bewunderung? Die Schatten legten nahe, dass diese Geistherrin gut gespeist hatte.
»Mutter«, richtete Onika das Wort an die heranschreitende Frau, »du bist hier nicht willkommen.«
Merrick schüttelte den Kopf und brauchte einen Moment, um zwei schwierige Tatsachen miteinander zu verbinden. Dass Hatipai eine Göttin war, dessen war er sich sicher. Aber das war nicht alles, was er sah, wenn er sie anschaute. Sie war außerdem ein Geist.
Obwohl er entsetzt war, ergab das einen Sinn. Die Gelehrten hatten immer nur angenommen, die Bevölkerung habe sich von den Göttern abgewandt, weil sie nicht in der Lage waren, sie vor der Ankunft der Anderwelt zu beschützen – aber falls einer von ihnen den Verdacht gehabt hatte, dass sie in Wirklichkeit Geistherrn waren, dann war das Verleugnen ihrer Götter nichts als Vergeltung.
»Sohn«, sprach die Frau, und es war wie süßer Honig. Eine Stimme, die Männer vor Begierde weinen und Frauen vor Verzweiflung Selbstmord begehen lassen konnte. »Komm zu mir, und alles wird vergeben sein – selbst der Versuch, meine Anhänger gegen mich zu wenden.«
Onika richte sich auf. »Das könnte ich nicht tun.«
»Nein.« Die Göttin lachte. »Aber nicht, weil du es nicht versucht hättest. Sie wollten nichts davon wissen. Dummer Junge.«
Obwohl unter der Maske kein Gesichtsausdruck zu sehen war, spiegelte sich der lastende Kummer des Prinzen in der Haltung seiner Schultern wider. Er schien seine Göttlichkeit wirklich nicht zu genießen.
Sie trat näher, und selbst die Ehtia wichen zurück, als ihre Gegenwart sie zu überwältigen drohte. »Ich habe dich zu einem bestimmten Zweck gemacht, Onika: um mein Reich und alle Menschen darin zu beschützen. Solange du lebst – und ich habe dafür gesorgt, dass du ewig lebst, Liebster –, wird Chioma bestehen.«
Onikas Lachen war leise und bitter. »Doch welchen Sinn hat ewiges Leben ohne Liebe? Und du hast dafür gesorgt, dass es für mich weder Liebe noch einen Erben geben wird.«
Seine Stimme war so traurig, dass sie Merrick sofort an den Moment erinnerte, in dem seine Mutter lächelnd neben ihm auf dem Bett gesessen hatte, die Hand auf ihren runden Bauch gelegt.
Ich weiß nicht, wie er von mir erfahren hat,
hatte sie gesagt.
Plötzlich lag die Zukunft vor ihm, und er hörte Nynnias Worte.
Du musst den Samen pflanzen,
hatte sie gesagt. Seine Mutter hatte gelächelt und vor Glück gestrahlt. In ihren Augen war wahre Liebe gewesen, nicht der verrückte, hoffnungslose Glaube eines Menschen, der von dem Halbgott unter der Maske gefangen war, sondern echte Liebe, so unerwartet, köstlich und geschätzt sie nur sein konnte. Merrick wusste, was Nynnia wollte und warum sie ihn hierhergeschickt hatte.
Fast wäre er damit herausgeplatzt, aber dann sprach Hatipai weiter. »Du allein kannst Chioma halten – du musst leben.«
Onika war ihr Fokus. Die Ausbildung des Ordens machte dies überdeutlich. Wie der Rossin auf die Kaiserliche Familie gesetzt hatte, so hatte Hatipai sich ihren Anker in dieser Welt geschaffen – ähnliche, aber unterschiedliche Arten, die Gefahren der wirklichen Welt zu überleben.
»Lass diese Leute vorbei«, knurrte Onika.
»Deine Verbündeten?« Die Schatten begannen gegen den Uhrzeigersinn um das Gesicht des Geistherrn zu kreisen. »Sie haben uns praktisch in diese Welt eingeladen, und jetzt, wo sie uns verraten, würdest du sie beschützen?« Die Schatten schossen auseinander, und ihr Gesicht wurde enthüllt.
Merricks Sinne trogen ihn. Er hörte
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