Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
heftiger. Ob sich ein Wurm am Angelhaken auch so fühlen mochte wie sie?
Die Schaukel wurde ihrem Namen mehr als gerecht, aber im Gegensatz zu einem Kinderspaß drehte ihr dieses Vergnügen den Magen um und raubte ihr den Atem. Sorcha konnte Onika nicht einmal sehen, obwohl er keine zwei Meter von ihr entfernt sein konnte.
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und schaute mit ihrem Zentrum nach oben, bereute es aber sofort. In den Wolken über ihnen tanzten die Blitze, doch alles, was sich in ihrem Licht erkennen ließ, war eine Dunkelheit inmitten der pulsierenden Masse, eine Dunkelheit in Gestalt einer Klauenhand, die nach unten griff. Sorcha versuchte herauszufinden, welche Art Geist dies vermochte, aber es war schwer, klar zu denken, wenn die Krallen sich um die
Winterfalke
schlossen.
Die Schaukel ruckte, wirbelte sie herum und begann nach hinten zu kippen. Sorchas Schrei wurde vom Sturm verschluckt. Zu fallen war immer ihre größte Angst gewesen, die auch nach vielen Stunden der Ausbildung nur wenig von ihrer Bedrohlichkeit verloren hatte. Ein entsetzter Blick in die Tiefe verriet ihr überhaupt nichts, denn der Sturm hatte sich um alles gelegt. Sie mochten einen Meter vom Erdboden entfernt sein oder hundert.
Blitze zuckten, sofort von krachendem Donner gefolgt. Sorcha dröhnte der Kopf, und für eine Sekunde war sie geblendet. Ein Überlebensinstinkt ließ sie wieder nach oben schauen, und da war sie: Die Hand, die sich um das Luftschiff krallte, leuchtete unter einem Blitz auf. Wenn es nicht erlaubt war, auf den Kaiserlichen Schiffen zu rauchen, war es bestimmt auch nicht erlaubt, Blitze in sie hineinzuschleudern.
»Onika!«, schrie Sorcha, nicht sicher, wo er war. Die Hülle der
Winterfalke
fing mit ohrenzerreißendem Brüllen Feuer. Die Hitze war so intensiv, dass die Diakonin die Arme um den Kopf schlang aus Angst, ihr Haar könnte Feuer fangen. Das Luftschiff brannte leuchtend blau, und die Flammen leckten wie liebkosend an der Ballonhaut. Das hätte schön ausgesehen, wenn es nicht für alle an Bord den Tod bedeutet hätte.
Die Diakonin wusste, dass sie jetzt nichts mehr tun konnte. Die
Falke
bog sich in der Mitte durch und stürzte auf sie zu, und sie hatten nur eine einzige Chance. Alles verlangsamte sich.
Zu ihrer Rechten sah sie jetzt zumindest Onika. »Schneidet das Geschirr durch! Sofort!«, schrie Sorcha ihm zu, ohne zu wissen, ob er sie in der Panik hörte. Dann zog sie ihr Messer aus dem Gürtel und tat, was er hoffentlich auch tun würde.
Von der Schaukel befreit, wollte sie für den Bruchteil einer Sekunde nicht loslassen. Ihr Verstand weigerte sich lauthals, aber das Gerät war eine falsche Sicherheit – sie würden sich in der todgeweihten
Falke
verfangen und mit ihr verbrennen.
Sorcha holte tief Luft und ließ sich mit einem Aufschrei in die Dunkelheit fallen. Alles, worauf sie hoffen konnte, waren Sand oder ein schneller Tod.
Kapitel 28
Verzweiflung und Entzücken
Sie zerrten Raed in den Tempel und sperrten ihn in einen Raum von der Größe eines Besenschranks, aber seine Umgebung spielte keine Rolle. Der Junge Prätendent lag da und wartete, dass die Schmerzen aufhörten. Das taten sie nicht. Irgendwann überkam ihn eine wohltuende Ohnmacht.
Am nächsten Morgen riss er die Augen auf und erblickte die Welt und ihre hässliche Realität. Seine Hände waren taub und immer noch mit den Wehrsteinen gefesselt. Raed leckte sich die Lippen und strengte die Augen an. Das einzige Licht hier drin kam durch den schmalen Spalt unter der Tür. Der Schrank war so klein wie ein typischer Gefängnisschwitzkasten.
Während Raed ein dünner Schweißfaden von der Stirn rann, versuchte er, sich damit abzufinden, dass die vergangene Nacht echt gewesen war. Er hatte seine Schwester gefunden – und sie hasste ihn. Seine Mannschaft war für ihn gestorben. All diese Dinge waren wahr.
Das war nur eine weitere lange Reihe bitterer Tatsachen, denen er sein Leben lang ins Auge geblickt hatte. Raed würde nicht aufgeben. Fraine, die arme, beschädigte Fraine, war fort. Doch wenn er aus dieser verrückten Lage herauskäme, könnte er sie immer noch erreichen, sie dazu bringen, den Irrtum ihres Tuns zu erkennen. So schmerzlich der Gedanke auch war: Es musste Tangyre gewesen sein, die Fraine den Verstand verdreht hatte. Raed hatte gedacht, Kapitänin Greene sei seine Freundin, aber jetzt war er davon überzeugt, dass er nicht einmal die Hälfte dessen wusste, was in seiner Abwesenheit geschehen war. Sie
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