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Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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widerwärtig gewesen wäre, wenn sie das Empfinden Sterblicher besessen hätte.
    Als die Gestalt ihres zweiten Kindes – nur mehr eine trockene Masse aus Haut und Knochen – klappernd zu Boden fiel, schrien die Eltern nicht und versuchten auch nicht zu fliehen. Der Blick der Mutter sprang zu den Überresten ihrer Söhne, als hielte sie all das für einen geschmacklosen Zaubertrick. Dann sah sie Hatipai an. Der Geist war es gewohnt, dass Gläubige ihre Schönheit bewunderten, daher war ihr die Nacktheit ihres neuen Körpers besonders deutlich bewusst. Er brauchte eine Hülle.
    Der Mann stand am nächsten. Seine Haut löste sich mit einem Geräusch wie zerreißender Samt, während seine Schreie aus einem Mund brachen, der jetzt ohne Lippen war. Die Frau heulte mit ihm. Noch vor wenigen Augenblicken, Herzschlägen, hatte sie sich darüber gefreut, den glänzenden Engel in ihrem Heim zu sehen.
    Sterbliche waren so launisch! Sie riefen in die Dunkelheit und verlangten Antworten und Aufmerksamkeit von Kräften, die sie nicht verstehen konnten, und wenn sie diese Aufmerksamkeit und diese Antworten bekamen, beklagten sie sich darüber.
    Die Haut legte sich um ihre Gestalt, und nun konnte Hatipai die Wärme des Raumes spüren und den Geruch von Blut und Furcht wahrnehmen. Es war ein Duft, an den sie sich gut erinnerte. Der Mann taumelte, und Blut strömte ihm aus dem Leib wie aus einem ausgedrückten Schwamm, und dann überwältigte ihn der Schock. Er krachte gegen den kleinen Altar, vor dem die Familie gebetet hatte, und Speiseopfer und Räucherstäbchen fielen klappernd ins Blut. Dann lag er auf dem Boden und zuckte wie ein ausgenommener Fisch.
    Hatipai interessierte sich nicht mehr für den Mann. Sie freute sich bereits über sein Geschenk.
    Als sie hinabschaute, sah sie, dass der Körper sich auch zu einer vertrauten Form gefügt hatte; er war nach dem Vorbild einer Prinzessin von Delmaire geschaffen – einer Prinzessin, die Hatipai in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in dieser Welt von innen verzehrt hatte. Ihrer Meinung nach war diese Verwendung von Knochen, Fleisch und Haut viel besser als alles, was ihre ursprünglichen Besitzer je damit hätten tun können. Während sie ihr Werk noch bewunderte, ging die Frau mit einem Messer auf sie los.
    Es war nicht das erste Mal, dass ein Sterblicher derlei probierte, aber es mochte sich wohl um den jämmerlichsten Versuch handeln. Hatipai bremste ihren Arm, bevor er auch nur halb herabgefahren war.
    Ein Messerhieb hätte sie zwar nicht töten können, aber es wäre eine Schande gewesen, diesen schönen, neuen Körper zu verunstalten. Er mochte nicht genügen, um sie lange zu beherbergen, aber sie erfreute sich dennoch daran. Sie hielt die Frau fest und sah hinab. Ihr Blick flammte immer noch golden; aus irgendeinem Grund konnte ihre Magie das menschliche Auge nicht kopieren. Ihr erster Instinkt war es, das erbärmliche Geschöpf zu töten, aber als sie tiefer in die Frau hineinsah, wurde ihr klar, dass dies eine Freundlichkeit gewesen wäre.
    Hatipai neigte nicht zu Freundlichkeiten – also lächelte sie stattdessen und entblößte Zähne, die vom Kind der Frau stammten. Das war der Moment, in dem die frischgebackene Witwe zusammenbrach. Schluchzend sackte sie zu Boden.
    »Was … was seid Ihr? Was seid Ihr?« Ihre Fragen entrangen sich einer Brust, die Mühe mit dem Atmen zu haben schien.
    Hatipai zog eine Braue hoch – ein Gesichtsausdruck, den sie immer besonders gemocht hatte. Ihre Stimme war süßer als Honig, grausamer als Trauer. »Ich bin die Göttin, nach der ihr gerufen habt – ihr habt doch gerufen, nicht wahr?«
    Durch ihren Schmerz nickte die Frau, außerstande, ihre Gebete und Opfer zu leugnen.
    Hatipai lächelte wieder. »Also danke ich dir für deinen Glauben und deine Opfergaben.« Und dann ging sie nackt aus der Kabine, und ihre kleinen, perfekten Menschenfüße hinterließen blutige Abdrücke auf dem Boden. Die Musik, die ihren Weg begleitete, waren die jämmerlichen Klagelaute der Frau.
    Als der Junge Prätendent vom Achterdeck der
Herrschaft
auf das schwankende Schiff am Horizont schaute, krampfte sich sein Magen vor Ärger zusammen.
    Viele Menschen, darunter auch Raed, erkannten an, dass das neue Reich Vorteile gebracht hatte: Krieg gehörte im Wesentlichen der Vergangenheit an, der Handel blühte, und die Menschen wurden nicht mehr so oft von Geistern heimgesucht. Eine der schrecklichen Sachen aber, die geblieben waren, glich einem verfaulten,

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