Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
Kaleva. Eine Heirat wäre gleichbedeutend mit dem Leugnen seiner Gefühle – und der Kaiser von Arkaym konnte nicht so handeln wie der Prinz von Chioma, der sich einen großen Harem hielt. Die Tradition verlangte, dass es einen Kaiser und eine Kaiserin gab.
Eilse konnte diese Frau nicht sein. Ihre niedere Geburt wäre eine Beleidigung für diese Rolle gewesen.
»Bruder« – Zofiya legte ihm eine Hand auf den Arm und senkte die Stimme zu einem Flüstern, sodass niemand mithören konnte – »Vater hat sich in vielen Dingen geirrt, aber er hatte recht damit, dass die erste Verantwortung eines Monarchen in der Fortführung des Stammbaums besteht. Unsere Macht auf dem Kontinent ist noch nicht gefestigt.«
Kaleva wandte der prächtigen Aussicht den Rücken zu, stützte sich auf den Tisch und blickte zu seinen Geliebten. Als er einen Moment später seine Schwester anschaute, sah sie ihn wieder: den kleinen Jungen, dem sie vielleicht zu viele Märchen vorgelesen hatte. Auf wundersame Weise haftete ihm immer noch Romantik an, selbst nach einem Krieg, Mordanschlägen und den Machenschaften eines missgünstigen Hofs.
Kaleva griff hinter sich und wählte blind eines der Porträts; dann streckte er Zofiya den Arm hin und öffnete die Hand. Beide blickten auf das schöne, dunkle Gesicht der Prinzessin von Chioma.
Zofiyas Herz setzte einen Schlag aus. »Nach dem Zufallsprinzip, Bruder?« Die Großherzogin neigte den Kopf zur Seite und lächelte ihn an. »Willst du die nächste Kaiserin für Arkaym wirklich so auswählen?« Sie wusste, dass die Entscheidung alles andere als zufällig war.
Kaleva zuckte die Achseln. »Sie sind alle gleich würdig, gleich schön – wenn man ihren Porträts Glauben schenken darf. Ich denke, diese Dame ist eine gute Wahl. Ihr Vater hat nie …«
Zofiya hörte nicht mehr, was ihr Bruder sagte, weil sich in diesem Moment die Wolken teilten und sie kurz eine Bewegung im Turm gegenüber wahrnahm.
Es war ein älterer Teil des Palasts, der aus rauem Stein, nicht aus dem glatten Marmor der jüngeren Anbauten bestand. Dieser spezielle Turm besaß jedoch ein großes, rundes Glasfenster, eine Fensterrose.
Als das Licht durch diese Scheiben fiel, entdeckte Zofiya dahinter die Umrisse einer Gestalt.
»Beschützt den Kaiser!«, rief sie und stieß ihren Bruder zu Boden. Im selben Moment zerschmetterte ein Schuss erst die Fensterrose, dann das Fenster, vor dem sie gestanden hatten, und traf ein Porträt, das in tausend Porzellansplitter zerbarst. Sofort eilten Kaisergardisten herbei, und die kleine Gruppe von Höflingen stob auseinander wie Spreu.
Zofiya hatte keine Zeit, darauf zu achten. Ihr Bruder lag am Boden, bedeckt von denen, die geschworen hatten, ihn zu beschützen, und jetzt hatte sie eine Aufgabe zu erledigen. Der Palast war ein Kaninchenbau aus Zimmern, Fluren und versteckten Eingängen – der Angreifer konnte binnen Sekunden fort sein.
Zofiya stürmte den Langen Flur hinunter und schlitterte auf dem glatten Marmor, riss aber blitzschnell eine Tür in der Vertäfelung auf, rannte eine Treppe hinunter und hörte hinter sich das gedämpfte Echo des zweiten Schusses. Sie machte sich nicht die Mühe, leise zu sein, aber da sie Fechtschuhe trug, um den Boden des Flurs nicht zu beschädigen, hallten ihre Schritte viel weniger als gewöhnlich.
Die Großherzogin hetzte durch den in den Felsen gehauenen Gang. Vor ihrem geistigen Auge lag die gesamte Burg – jeder Korridor, jeder Bogen, jede Treppe. Ihr Herz hämmerte, doch das Atmen fiel ihr leicht. Sowohl Zofiya als auch Kaleva achteten darauf, von der Kaiserlichen Küche nicht dick zu werden, und jetzt erwiesen sich die vielen Runden durch die Gärten als sehr nützlich.
Ohne innezuhalten, stürmte sie durch die Geheimtür und in den Raum oben im Jungfernturm. Der verhinderte Attentäter drehte sich um und hatte sein Gewehr gerade erst aus dem Loch im Fenster gezogen. Er trug das Rot der Kaisergarde – eine Beleidigung, die Zofiya nicht ungestraft lassen konnte.
Es hätte jedoch für die Großherzogin keinen schlechteren Zeitpunkt geben können, in den Kampf zu ziehen. Sie trug nur eine Hose und ein Hemd aus leichtem Leinen und hatte nichts Längeres bei sich als ihren Zeremoniendolch von Hatipai.
Doch Zofiya war von königlichem Blut und wurde von ihrer Göttin geliebt – sie würde über einen zweitklassigen Attentäter triumphieren, selbst wenn sie dafür nackt aus dem Bad steigen müsste.
Sie stürzte sich mit einem Schrei auf ihn,
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