Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
leugnen, dass sie sich in ihrer kurzen gemeinsamen Zeit, so stürmisch sie auch gewesen war, lebendiger gefühlt hatte als in all den Jahren mit Kolya.
Langsam kringelte der Rauch aus ihrem Mund und zog an ihren Augen vorbei. Durch die Schwaden sah sie, dass Merrick sie so verstohlen beobachtete, wie es nur ging. Die Verbindung zwischen ihnen war so unbeständig, dass sie kaum wusste, was zu ihm durchdrang.
Hier wurden ihre Gedanken unterbrochen, denn die Tür des Warteraums flog auf, und Botschafter Bandele kam hereingeschritten, gefolgt von zwei Höflingen. Obwohl seine Mission in Vermillion vorüber war, war er mit den beiden Diakonen noch nicht fertig.
Als sich sein scharfer Blick auf die übrigen Anwesenden senkte, zogen die sich eilig zurück. Merrick erhob sich, aber Sorcha beobachtete Bandele nur. Er war von einiger Wichtigkeit gewesen, als sie die Abordnung beschützt hatten, aber jetzt war er ihrer Meinung nach nur ein weiteres lästiges Anhängsel.
Der Botschafter musterte Sorcha und Merrick von Kopf bis Fuß. Der Blick seiner braunen Augen glitt über ihre eher schlichten Diakonsroben hinweg, als fände er sie irgendwie anstößig. Auf eine Handbewegung hin schoss einer seiner Begleiter vor, eine scharlachrote Robe über dem Arm.
»Hiermit sollte es gehen, Diakonin Faris.« Er machte Anstalten, sie ihr hinzuhalten.
Sorcha schlug die Spitze ihres Zigarillos ab und überlegte, wie um alles in der Welt sie antworten sollte, ohne zu schreien.
»Es tut mir leid« – Merrick hielt ihn zurück, obwohl er verdächtig so aussah, als würde er gleich in Gelächter ausbrechen – »doch der Orden verbietet uns ausdrücklich, etwas anderes als unsere Roben zu tragen. Wir sollen die Gefahren der materiellen Welt zurückweisen.«
»Aber dies ist sicher keine Gefahr« – Bandele schwenkte den grell gefärbten Stoff – »Ihr werdet dadurch am Hof des Prinzen erst akzeptabel.«
Sorcha schluckte ihren Ärger herunter. »Wollt Ihr damit sagen, dass wir hier nicht ›akzeptabel‹ sind?«
Bandele öffnete den Mund, aber Merrick war schneller. »Es ist einfach nicht möglich, Botschafter. Aber danke für Euer freundliches Angebot.«
Bandele schaute von einem Diakon zum anderen, akzeptierte dann seine Niederlage und scheuchte seine Helfer weg. »Ich kann kaum glauben« – er seufzte –, »dass ich dem schönsten und prachtvollsten Hof der Welt so unscheinbare Vögel vorstelle.«
Das war eine reichlich gewagte Feststellung. »Der Hof Eures Prinzen«, antwortete Sorcha scharf, »kann es unmöglich mit dem des Kaisers in Vermillion aufnehmen.«
Der Botschafter neigte den Kopf zur Seite und grinste. »Oh, der Hof des Kaisers ist in der Tat höchst« – er spitzte die Lippen – »kultiviert, kann sich in seiner Schönheit aber nicht mit den Seiden- und Organzastoffen Chiomas messen.« Er musterte sie ein letztes Mal. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht zumindest die akzeptableren Roben anlegen wollt, die unser Orden trägt?«
»
Euer
Orden?« Sorcha biss die Zähne zusammen. »Soweit ich weiß, gehört der Orden sich selbst und nicht …«
Merrick machte eine hastige Verbeugung. »Die Gepflogenheiten der chiomesischen Diakone sind nur für Chiomas Bürger bestimmt – und nicht für uns, fürchte ich.«
Der Botschafter rümpfte die Nase, aber da er nicht den Hauch von Kompromissbereitschaft bei Merrick und Sorcha entdecken konnte, drehte er sich wieder zur Tür um. »Der Prinz wird Euch dann jetzt empfangen – so, wie Ihr seid.«
Innen war der Palast noch schöner als außen. Lange Galerien, die denen der Mutterabtei ein wenig ähnelten, führten auf viele kleine Gärten mit kunstvollen Bepflanzungen und plätschernden Springbrunnen hinaus. Jeder glich einem Schluck willkommener Kühle unter der schweren Hitzedecke außerhalb der dicken Palastmauern. Über ihnen wölbten sich rote Lehmdecken, und Sorcha reckte verstohlen den Hals, um sich deren reiche Verzierungen anzusehen. Sie war zwar an den Kaiserpalast gewöhnt, ließ sich aber dennoch von der Residenz des Prinzen von Chioma beeindrucken. Natürlich ohne dass Bandele etwas davon bemerkte.
Merrick murmelte ihr ins Ohr: »Ich denke, er weiß es bereits.«
Sorcha schauderte, riss die mentalen Schilde hoch, die alle Anfänger Geistern entgegenzuhalten lernten, und hoffte, dies werde einen gewissen Schutz vor dem Gedankenfluss durch die Verbindung bieten. Merrick las immer ungenierter in ihrem Kopf, und sie machte sich Sorgen, dass es ihm immer weniger
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