Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
fiel, war so gelb, hell und stark, wie es keine Sonne im Norden je sein konnte. Zofiya sah den Brunnen, wo der Göttin Wasser geopfert wurde – und in seltenen, wichtigen Augenblicken andere Flüssigkeiten. Ihr geistiges Auge beobachtete, wie der Brunnen leer lief und sich knirschend eine Treppe öffnete – ein Wunder alter Baukunst. Ein kaltes Grauen packte die Erzherzogin, obwohl sie keine Ahnung hatte, warum.
Geh hinab in die Erde und bring mir, was nur du mir bringen kannst – mein königliches Blut in Chioma hat versagt. Du wirst nicht versagen.
Der Ton der Göttin wurde so harsch und zornig, dass Zofiya vor Angst erbebte.
Während sie zitterte, wurde die Stimme wieder sanft und wärmte ihre plötzlich kalten Glieder.
Ich glaube an deine Stärke – du wirst mich nicht enttäuschen, gesegnetes Kind.
»In der Tat, Strahlende«, flüsterte Zofiya mit halb geschlossenen Augen, »ich werde Euch nicht enttäuschen. Was immer getan werden muss, wird geschehen.«
Du musst mir bringen, was du im Tempel findest. Du wirst es wissen, wenn du es siehst.
Es war seltsam, dass die Göttin ihr nicht mehr sagen wollte – aber nicht einmal einer Großherzogin stand es zu, Hatipai auszufragen.
Sag niemandem, was du tust – es gibt viele in diesem verlorenen Königreich, die deine Abreise zu verhindern suchen würden.
Es verstörte sie, das Reich ihres Bruders so beschrieben zu hören, aber sie würde nicht hinterfragen, was das zu bedeuten hatte. Ein Schwert zweifelte nicht an den Motiven der Hand, die es schwang. Sie würde sofort mit dem schnellsten Kaiserlichen Luftschiff nach Süden fliegen. Es spielte keine Rolle, wie viele Wehrsteine kaputtgehen würden, um sie dorthin zu bringen.
Als die Kaisergardisten Zofiya fanden, kniete sie in den Glasscherben, schaute aus dem Fenster und weinte. Sie hörte sie flüstern, dass sie eine wahre und tapfere Schwester sei, dass sie Tränen über die Rettung des Kaisers vergoss – aber Zofiya wusste es besser. Sie weinte wegen der Gabe der Sicht. Etwas Wunderbares geschah im Süden, und sie würde bald ein Teil davon sein.
Kapitel 12
Die wiedergeborene Verbindung
»Immer noch kein Zeichen?«, zischte Sorcha aus dem Mundwinkel.
Die anderen Bittsteller im Raum nahmen keine Notiz davon – oder taten zumindest so. Die Hitze in dem roten Kuppelraum war drückend, und die Diakonin spürte den Schweiß im Nacken. Nie waren ihr ihre Roben als unpassendere Dienstkleidung vorgekommen. Sie wäre bereit gewesen, in der Stadt auf Raed zu warten, aber der Prinz von Chioma hatte anscheinend andere Ideen. Er hatte darum gebeten, dass ihm die Diakone aus Vermillion formell vorgestellt wurden.
Merrick, der ihr gegenübersaß, wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Raed ist in der Stadt, Sorcha, aber wo genau, kann ich ebenso wenig sagen wie Ihr« – er gestikulierte vage –, »nur dass er in der Nähe ist.«
Bei den Knochen, sie brauchte ein Zigarillo, und es musste jetzt sein – zum Teufel mit der Etikette. Mehrere Menschen im Raum rauchten bereits; zwei Kaufleute hielten schön geschnitzte Pfeifen in den eleganten Fingerspitzen.
Offensichtlich waren sie an diese Warterei gewöhnt, weil sie den geduldigen Gesichtsausdruck von Sensiblen bei der Meditation trugen. Aktive lehrte man die gleichen Lektionen, aber sie waren längst nicht so gut darin – Sorcha am allerwenigsten.
Sie hatte trotzdem ihre Methoden entwickelt, damit fertigzuwerden. Sie entzündete ihr Zigarillo, lehnte sich im Stuhl zurück und dachte über das Wiedersehen mit Raed nach. Er würde nicht spüren, dass sie in Orinthal waren, daher würde sie seine Reaktionen beobachten können. Vielleicht konnte sie dann entscheiden, wie ihre eigenen ausfallen sollten.
Sie stützte die Unterarme auf die Schenkel und betrachtete wütend den Mosaikboden zwischen ihren Füßen. Bis jetzt war sie der Frage nach ihren Gefühlen für Raed ausgewichen. Sorcha wusste nicht, was schlimmer war: den Taumel des Begehrens mit etwas Tieferem verwechselt oder sich in ihrem Verlangen gerade nicht geirrt zu haben.
In Kindergeschichten war es immer einfach, wenn die Prinzessin ihren Prinzen fand: Sie heirateten und lebten so bis ans Ende ihrer Tage. Das Leben hatte Sorcha gelehrt, dass solche Dinge zu starke Vereinfachungen darstellten – Wünsche, die in den komplizierten Realitäten der Existenz selten wahr wurden. Die meisten Menschen ritten nicht mit ihrer einen wahren Liebe in den Sonnenuntergang.
Und doch konnte Sorcha nicht
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