Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
Moment – nur für den Bruchteil einer Sekunde – sah Sorcha dort noch etwas anderes, die Andeutung von etwas Dunklerem. Der Rossin huschte über das Gesicht des Mannes, dem sie so ergeben war. Es war eine Erinnerung an die Bestie in seinem Innern.
Doch Sorcha war nicht mehr in der Lage, einem von ihnen die Ekstase zu verwehren. Als Raed die Augen wieder öffnete, war das Haselnussbraun im Halblicht der Kerzen zu einem dunklen Grün geworden, und sein Atem ging stoßweise über die perfekte Reihe seiner Zähne.
Sie hatte nie damit gerechnet, ihn wiederzusehen, und daher würde sie das Beste aus diesem Augenblick machen – und dafür sorgen, dass er so lange wie möglich dauerte. Schlaf wurde schließlich völlig überbewertet.
Kapitel 14
Allein mit den Konsequenzen
Als Merrick endlich einschlief, war es nicht die tiefe Ruhe, die er wirklich brauchte.
Jeder Diakon wusste, dass es einen Ort gab, an dem die Barrieren, für deren Errichtung sie so hart trainierten, fielen. Schlaf, den jeder Sterbliche brauchte, war ein gefährlicher Ort. Glücklicherweise gab es nur wenige Geister, die in dieses Gebiet vordringen konnten – aber das bedeutete nicht, dass es sicher war.
Merrick stand nackt auf einer großen Sandebene und blickte zu den Sternen empor. Ein frischer Wind wehte wie von einem fernen Meer. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich seit seiner Kindheit so offen für die Welt und die Natur gefühlt zu haben. Nicht einmal seine Nacktheit machte ihm etwas aus.
Der Himmel über ihm war eine tiefblaue Seidenbahn ohne jeden Mond – da waren nur Sterne. Merrick hatte sie stundenlang studiert. Er kannte jedes Sternbild und jede Formation am Nachthimmel im Norden wie im Süden. Die Sterne über ihm zeigten die Bilder, die er kannte, aber kein einziges war am richtigen Ort. Es war, als hätte eine große Hand das Pergament des Himmels neu geordnet, und nun waren viele südliche Sternbilder am nördlichen Himmel.
Wo war er? Ein ängstlicher Schauer überlief ihn. Am Horizont lösten sich fünf Sterne vom Firmament und kamen auf ihn zugewirbelt. Zuerst war er erstaunt, aber dann überfiel ihn Entsetzen. Die Sterne wurden immer heller und größer, während sie auf ihn zuhielten.
Merrick wandte sich zur Flucht, denn die Sterne schnappten brennend nach seinen Fersen. Der Sand unter seinen Füßen war tückisch. Er zog ihn auf die Sterne zu, zerrann zwischen seinen Zehen. Merrick stolperte immer wieder und bekam kaum noch Luft, und sein Herz hämmerte ihm in der Brust. Doch er kam nicht voran.
Unser Sohn
– die Stimme in seinem Kopf gehörte nicht Sorcha –
lauf nicht weg, es gibt nichts zu befürchten.
Vor ihm brach ein Palast aus dem Sand, und plötzlich verstummte das schreckliche Singen der Sterne. Jetzt wehte ihm Sand ins Gesicht und brannte wie Säure. Merrick blieb keuchend und verängstigt stehen und reckte den Hals, um zu dem Gebäude emporzuschauen.
In den weißen Stein waren viele sitzende Figuren gehauen, alle gleich, und alle trugen die Kristallmaske des Prinzen von Chioma. Als die Kristalle sich bewegten, schien es, als könnte er dahinter ein Gesicht erkennen. Doch jedes Mal, wenn er auf diese Stelle blickte, sah er nur ein blendendes, goldenes Licht, das in seinen Augen mehr schmerzte als der Sand. Dahinter lag etwas Schönes und Schreckliches.
Mit einem Knirschen, bei dem er sich die Ohren zuhielt, erhoben sich die Statuen, nur um zu zerbrechen und zu zerspringen.
Alle müssen zerstört werden. Alle müssen sich beugen. Alle müssen neu geschaffen werden.
Die Stimme war weiblich und verführerisch, und sie umgab Merrick. Es war nicht seine Mutter. Es war nicht Sorcha. Doch er kannte sie. Er kannte sie seit seiner Kindheit.
Aber irgendwie waren die Sterne fort. Alle. Der Himmel über ihm war jetzt vollkommen leer. Stattdessen breitete sich das goldene Licht am Horizont aus und verbannte die Dunkelheit.
Das Licht umgab ihn von allen Seiten wie eine Umarmung. Merrick neigte den Kopf und akzeptierte es, wenn es ihn wollte. Er fiel auf die Knie …
Und in diesem Moment weckte ihn das Schreien.
Während Sorcha in seinen Armen lag und langsam und tief atmete, stellte Raed fest, dass er nicht das Gleiche tun konnte. Ihr Schweiß trocknete langsam in den Laken, doch er war zu aufgewühlt, um Ruhe zu finden.
Als er sich umgedreht und sie einfach dort stehen gesehen hatte, war ihm gewesen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Doch es war Sorcha, in den gleichen unauffälligen
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