Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
großer Vorsicht brachte Sorcha die Rune ihres Handschuhs zum Erlöschen. Außer dem Gestank nach faulen Eiern, von dem ihnen übel wurde, und einem schwachen Brandfleck auf dem Teppich, wo zuvor das Blut gewesen war, kündete nichts davon, dass etwas geschehen war.
Der Geist war anscheinend nur gekommen, um den Schatten zu zerstören, nicht um sich mit einem Ordensmitglied anzulegen. Sorcha stieß einen heiseren Atemzug aus und drehte sich zu Raed um.
»Alles in Ordnung?«
Er war blass und biss die Zähne zusammen, aber er nickte angespannt. »Ja, aber beim Blut, ich habe noch nie einen Geist aus solcher Nähe gesehen, ohne dass der Rossin« – er räusperte sich – »erschienen wäre.«
Sorcha tastete mittels der Verbindung nach Raed und schob sich an seinen Ängsten vorbei in den Rossin hinein. Der Geistherr war dicht an der Oberfläche, und sie erhaschte einen Blick auf seine große Schnauze, doch er wagte sich nicht hervor.
Das war nicht nur ungewöhnlich – es verstieß sogar gegen die Natur des Geistherrn. Der Rossin war dazu geschaffen, Menschen und Geister zu verschlingen. Er schwelgte in Zerstörung, Blut und Schmerz. Jetzt aber verhielt er sich wirklich sehr merkwürdig: vorsichtig.
»Er hat Angst.« Raeds Schultern waren angespannt. »Nur die Murashew hat es je geschafft, dass er sich so fühlt. Es … es kann doch nicht noch eine sein, oder?«
Sie hätte liebend gern verneint, besaß aber nicht genug Informationen, um sich sicher zu sein. »Ich hoffe nicht. Ich bin keine große Sensible, aber das kann ich sagen: Etwas hat diesen Ghast kontrolliert.« Sie berührte Raed leicht am Handrücken und hoffte, dass es genug war. »Ich denke, es ist Zeit, in den Harem zurückzukehren und herauszufinden, wie viele blauäugige Frauen es dort gibt.«
»Ich wünschte, Merrick wäre hier.« Es war gut, dass er es aussprach, denn so musste Sorcha es nicht tun. Als Antwort nickte sie nur.
Kaum traten sie auf den Flur, wurden sie beinahe von einer Flut junger Beamter umgeworfen, die den Gang entlangrannten. Raed legte einen Arm um Sorcha und hielt sie an die Wand gedrückt, während ein halbes Dutzend Diener in die andere Richtung liefen.
Es schien ein völlig anderer Palast zu sein als der, den sie betreten hatten. Hier ging eindeutig etwas vor.
Sorcha tauschte einen Blick mit Raed, und gemeinsam packten sie einen Diener, der einen schweren Bücherstapel an ihnen vorbeischleppte.
»Was ist hier los?«, fragte der Junge Prätendent und klang dabei gebieterisch und freundlich zugleich.
»Die Großherzogin«, keuchte der Lakai und gab sich alle Mühe, dass sein Stapel nicht umkippte. »Vom Hafen ist Nachricht gekommen – sie befindet sich auf dem Weg zum Palast.«
Sorcha schloss für eine Sekunde die Augen und versuchte, diese neue Information zu verdauen, aber wie der Junge scheiterte sie kläglich. Ausgerechnet Zofiya!
»Weshalb kommt sie hierher?« Raed, der ihr nur kurz begegnet war, als er sie in Vermillion gerettet hatte, konnte unmöglich verstehen, wie viel Ärger die verfluchte Frau bedeutete.
»Das weiß niemand«, kiekste der Junge. Er versuchte, den Arm freizubekommen und gleichzeitig zu verhindern, dass sein Bücherstapel zu Boden fiel. »Aber es ist nichts vorbereitet, und vielleicht will sie die Steuerunterlagen des Königreichs sehen.«
»Danke, Junge.« Raed ließ ihn los, und der arme Kerl flitzte davon, um sich ins Gedränge zu stürzen. Beim Blut, hoffentlich waren diese Papiere in Ordnung!
»Das kann kein Zufall sein«, zischte Sorcha ihrem Geliebten ins Ohr. »Zofiya ist kein Mensch, der zu Hirngespinsten neigt – und es war nichts über ihren Besuch hier bekannt, als ich Vermillion verlassen habe. Sie hätte mit dem Botschafter kommen können, aber das hat sie nicht getan.«
Raed schloss für einen Moment die Augen. »Dann war das Beinhaus nicht alles.«
Das war keine Frage, und Sorcha wusste, dass sie sich besser beeilen sollten. Die Großherzogin bedeutete nicht nur Panik für den Palast, sie bot auch ein herrliches Ziel für denjenigen, der in Orinthal Geister manipulierte. Das Chaos war gerade noch größer geworden.
Kapitel 20
Großherzoglicher Besuch
Zofiya stieg aus dem Luftschiff und war sofort in Schweiß gebadet. Sie hatten vier Wehrsteine verbrannt, um in drei Tagen hier zu sein, und zwei Ingenieure waren beim Ersetzen des letzten Steins verletzt worden. Dass es sich dabei um eine sauber absteigende Zahlenreihe handelte, spielte keine Rolle. Sie war hier, wie
Weitere Kostenlose Bücher