Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
ihre Göttin es befohlen hatte.
»Vielleicht möchte die Großherzogin lieber in chiomesische Seide schlüpfen?« Der Beamte niederen Ranges, den Orinthal so kurzfristig hatte auftreiben können, machte eine angemessen tiefe Verbeugung.
Zofiya atmete tief die warme Luft ein. Während der Reise hatte sie nachts kein Auge zugetan, und sie war sich vollauf bewusst, dass ihre Stimmung alles andere als perfekt war.
Trotzdem, sie war königlichen Geblüts und konnte die Gefühle kontrollieren, die sie nach außen zeigte – gelegentlich. Zum Glück für den zitternden Beamten war dies eine solche Gelegenheit. »Das wird nicht nötig sein – ich brauche jedoch ein Transportmittel zum Tempel der Hatipai.«
Der Mann blickte kurz hinter sie, und Zofiya verbarg ein Lächeln, als er ihr jämmerlich kleines Gefolge musterte: nur ein halbes Dutzend Kaisergardisten. Selbst wenn sie ohne ihren Bruder reiste, sollten Zofiya von Rechts wegen zehnmal so viele Wachen begleiten.
Doch wenn man von seiner Göttin gerufen wird, hält man sich nicht damit auf, zu versammeln, was schicklich ist. Sie spürte, dass der Beamte darauf brannte, weitere Fragen zu stellen, dass er voller Fragen war, von denen er nicht recht wusste, wie er an die Antworten kommen sollte. Lass ihn zappeln, dachte sie; sie würde noch viele Chiomesen verunsichern.
»Der Tempel ist nicht weit, Kaiserliche Hoheit, aber wir müssen für angemessene Beförderung und eine Ehrenwache sorgen. Das dauert ein oder zwei Stunden.« Er wand sich.
Das Bild vom Tempel ihrer Göttin brannte Zofiya in der Seele. »Dann gehen wir zu Fuß und genießen die Aussicht auf eure schöne Stadt.«
Die Augen des Mannes wurden groß, aber er wagte nicht, ihr zu widersprechen. »Wenn ich so kühn sein darf« – Schweiß, der nichts mit der Hitze zu tun hatte, rann ihm übers Gesicht – »darf ich fragen, was uns die große Ehre Eures Besuchs in Chioma verschafft? Der Prinz wird überaus … überrascht und entzückt sein.«
Wohin die Schwester des Kaisers sich begab, war immer für alle von größtem Interesse – nicht zuletzt für das Hornissennest streitender Prinzen. Doch Chioma war das Kultzentrum ihrer Göttin, und der Prinz des Königreichs war für seine zurückgezogene Natur und seinen eisernen Willen bekannt. Zofiya rechnete nicht damit, dass er Probleme machen würde.
Für eine solche Frage hatte sie eine Ausrede parat. »Ich bin gekommen, um die reizende Prinzessin kennenzulernen, die die Gemahlin meines Kaiserlichen Bruders werden möchte.«
Das war zumindest eine Halbwahrheit. Als sie vor Kaleva gestanden hatte, hatte der es nicht geglaubt. Sie kannten einander zu gut, und er konnte den Ausdruck in ihren Augen gut genug deuten, um zu wissen, dass ihre Reise mit Hatipai zusammenhing.
Es war einer der wenigen Streitpunkte zwischen den Geschwistern. Er hatte nie das Brennen des gerechten Glaubens verspürt, zu dem sie so früh im Leben gefunden hatte. Zofiya liebte ihren Bruder mehr als alles auf der Welt, aber es gab jemanden, den sie höher stellte: Hatipai.
Im Gegensatz zu ihrem Vater, der entsetzt und peinlich berührt gewesen war, als seine Tochter Anzeichen von Glauben gezeigt hatte, war Kaleva darüber nur bekümmert gewesen.
»Kleine Wölfin« – zwei Falten verdüsterten die Stirn seines schönen Gesichts – »ich fürchte, deine Hingabe wird dir nur Unheil bringen.«
Während sie in der Hitze stand, die wie eine Decke über Orinthal lag, erinnerte sie sich mit einem Lächeln an den Kosenamen und an die Liebe, die er ihr geschenkt hatte. Der Kaiser war für einen Mann von solcher Macht bemerkenswert weichherzig.
»Ich denke, du bist es, der verletzt werden könnte«, hatte sie geantwortet. »Ohne einen Glauben, der dich vor der Welt beschützt, Bruder.«
Es war eine Auseinandersetzung, die sich jahrelang im Kreis gedreht hatte. Also hatte er ihre Pläne für den Aufenthalt in Chioma nicht hinterfragt, und Zofiya hatte sich nicht erboten, ihn einzuweihen. Von Hatipai gerufen zu werden, so etwas konnte nicht einmal eine Kaiserliche Großherzogin ignorieren.
»In welcher Richtung liegt der Tempel?«, fragte sie gelassen, um sich nicht zu verraten.
Sein Gesicht hellte sich auf wie von einem Wehrstein beleuchtet. »Wir haben Berichte erhalten, Eure Kaiserliche Hoheit, dass Ihr unserer Strahlenden Dame folgt. Es erfreut wahrlich das Herz aller in Chioma zu wissen …«
»Dessen bin ich mir sicher.« Zofiya hob die Hand und schnitt seinen Wortschwall ab.
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