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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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sollte nun meinen, der Mann sei reich, denn immerhin war es eine beträchtliche Menge Gold, die er dem Orden geraubt hat. Aber als sich seine Spur in Schleswig wiederfindet, ist er nur noch ein armer Schlucker. Da fällt ihm ein Kurier des Herzogs in die Hände, der einen Batzen Geld mit sich trägt. Der Templer brachte ihn um und nahm das Geld an sich. Zeugen sagten aus, daß er sich auf dem Weg nach Lüneburg befand und weiter in Richtung Raupach gezogen sei und daß er sich alles nahm, dessen er habhaft werden konnte, meist mit Gewalt. Ein anderer Zeuge sagte aus, daß ihm der kleine Finger an der linken Hand fehlt. Natürlich, wenn er Handschuhe trägt, und er trägt fast immer welche … Ihr habt ihn gesehen, Herr, trug er Handschuhe?«
    Ja, er hatte Handschuhe getragen, aber die hatten sie ihm vor der Beisetzung ausgezogen. Hatte ihm ein Finger gefehlt? Keiner wußte es. Martin ließ den Priester kommen, aber auch der konnte sich nicht erinnern.
    »Wir werden sehen«, sagte Martin bedächtig nickend, »rekonstruieren wir den Fall, soweit es möglich ist. Seit er in Schleswig ist, besitzt er kein Geld mehr, kein Dach über dem Kopf. Lebt vom Stehlen, vagabundiert durchs Land, versteckt sich. Er sieht einen Offizier auf einem guten Pferd mit einem guten Schwert. Unser Mann ist ein Meisterschütze, er hat eine Armbrust dabei, die er nach der Tat vielleicht im Wald vergräbt. Er tötet also Monreal, nimmt sich Schwert und Pferd und verschwindet. Später kehrt er zurück, vielleicht, um seine Armbrust auszugraben, weil er erst seine Beute in Sicherheit bringen mußte. Wieder am Tatort, trifft er auf eine Frau und einen Soldaten. Unser Mann denkt sich, aus einem Pferd können auch zwei werden, und will sich Pferd und Schwert des Soldaten holen. Aber einem Mann von hinten in den Rücken zu schießen ist etwas anderes, als ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Zumal unser Soldat sein Handwerk versteht und den Angreifer tötet.«
    Martins Faust schlug plötzlich krachend auf die Tischplatte. »Wir werden die Leiche exhumieren«, schnauzte er in die Runde, »wir müssen wissen, ob es sich um Leonard Agil, den Templer, handelt. Stellt morgen früh bei Tagesanbruch genug Soldaten bereit, um den Leichnam auszuheben.«
    »Das ist Gotteslästerung«, hauchte Gundeline mit bleichem Gesicht.
    »Ja«, raunzte Martin sie an, der jetzt in einer ganz heftigen Laune war. »Gotteslästerung, und ich bin sicher, Gott wird die Wahrheit nicht gefallen. Aber man muß nicht wie Custodis sein, Gott hab ihn selig, um die Wahrheit zu finden.«
    »Woran ist er eigentlich verstorben?« fragte Raupach leise.
    Martin schmunzelte wieder. »Einer seiner Lustknaben hat ihn erschlagen. Hier, ganz in der Nähe, in einer Schenke. Er hat Euch eine Weile beobachten lassen, obwohl er keinen blassen Schimmer von den wahren Zusammenhängen hatte. Dabei ist ihm wohl die Zeit lang geworden. Er vergnügte sich mit dem Sohn seines Schankwirts, der seiner Zudringlichkeiten bald überdrüssig wurde und ihm einen Krug Wein auf dem Schädel zerschlug. Man konnte den Jungen nicht einmal zur Rechenschaft ziehen, da es zu viele Zeugen gab, Ihr versteht? Die öffentliche Meinung kehrt sich nur allzuschnell gegen Würdenträger, die solch üblen Lastern frönen. Aber genug davon. Gehen wir zu Bett. Wir haben morgen einen harten Tag vor uns.«
    Er erhob sich steifbeinig und nickte in die Runde. Sein schwarzer Mantel schleifte über die Stufen der Treppe hinter ihm her, während er zu seiner Kammer hinaufstieg.
    Bei Sonnenaufgang wurde das Grab neben der Ringmauer geöffnet. Drei Soldaten hoben den einfachen Sarg ans Tageslicht.
    Kühler Wind und Nebel zogen von der Heide herüber. Maria hatte sich in ihren Umhang gewickelt. Vor ihr standen die Soldaten in erwartungsvollem Schweigen. Der Nebel wurde stärker und raubte ihr die Luft zum Atmen. Er roch salzig und dämpfte die Geräusche der Männer, die den Sarg aufstemmten.
    Dann ging ein leises Raunen durch die Menge. Doch Maria hörte nur seine Stimme.
    »Es ist der Templer«, sagte Martin. »Es fehlt ihm der kleine Finger an der linken Hand.«
    Sie hatte genug gehört. Langsam ging sie ins Haus zurück, in ihre Kammer. Von ihrem Fenster aus sah sie den Nebel auf der Heide liegen wie ein Schleier aus Gaze. Wacholder ragten aus dem Dunst. Erste Sonnenstrahlen fielen aus einem grauen Himmel. Sie hörte Berthold eintreten.
    »Was ist? Was hast du?« Er trat hinter sie, nahm ihre Hand und küßte sie. »Jetzt

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