Die russische Herzogin
verhungert!«
Arm in Arm machten sich die Freunde in Richtung Speisesaal auf.
24. KAPITEL
D as Jahr wurde älter, der Krieg rückte in den Hintergrund, der Alltag nahm die Menschen wieder gefangen, und niemand war böse darum.
Olly widmete sich neben ihren bisherigen Wohltätigkeiten nun auch der Karl-Olga-Stiftung, die sie anlässlich ihrer Silberhochzeit mit eigenem Geld ins Leben gerufen hatte und die sich um verwaiste Töchter von verstorbenen Staatsdienern oder Militärpersonen kümmern sollte – ihr persönliches Dankeschön ans württembergische Volk. Dass Karl ihre neue Stiftung weder unterstützte noch eine ähnliche Geste seinerseits machte, betrübte sie. Die große Traurigkeit früherer Zeiten angesichts Karls mangelnder Mildtätigkeit blieb jedoch aus.
Frohen Herzens schmiedete sie Pläne für ein weiteres Wiedersehen mit Iwan. Bad Kissingen im Herbst war gewiss sehr stimmungsvoll.
Gleichzeitig hielt sie Ausschau nach einer Hofdame für Wera. Dass ihre Ziehtochter nach dem Weggang der Gouvernante, Madame Titow, kein einziges weibliches Wesen mehr im Dienst hatte, gefiel Olly ganz und gar nicht. Ihre Freundin Margitta hätte Wera sofort eingestellt, aber das kam für Olly nicht in Frage. Ihr schwebte eine Dame von feinem Gemüt und edelster Gesinnung vor, treu und ehrlich sollte sie sein, ausgestattet mit guten Verbindungen und besten Manieren, kurz gesagt: eine zweite Evelyn. Und nichtdie unzuverlässige Tochter einer Dienstmagd, die keinerlei Respekt zeigte oder sich dankbar für ihre Einstellung erwies.
Im März 1873 starb nach langer Krankheit Karls Mutter Pauline. Karl überraschte sein Umfeld mit der Heftigkeit seiner Trauer, die gepaart war mit Selbstvorwürfen, der Mutter zu Lebzeiten nicht gut genug zur Seite gestanden zu haben. Umso pompöser fiel die Beisetzungsfeier aus, die er für Pauline organisierte und zu der Bekannte, Familie und gekrönte Häupter aus nah und fern anreisten. Wie bei allen wichtigen Feierlichkeiten des Königshauses war auch Herzog Eugen eingeladen. Im Gegensatz zu Wily, der heftig um seine Großmutter trauerte, schien Eugen jedoch völlig unberührt. Er sprach dem Leichenschmaus zu, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen, er trank reichlich vom Trollinger, den auch Pauline so gemocht hatte, und während er es sich gutgehen ließ, schaute er ständig auf die Uhr.
»Das wird langsam unerträglich«, murmelte Wera, während sie wütend und verzweifelt zugleich zum Tisch der beiden Männer hinüberschaute. Außer einer kurzen Begrüßung hatten sie noch keine weiteren Worte gewechselt. So wie es aussah, würde es heute auch nicht mehr dazu kommen.
Olly, die sich mit einer befreundeten Gräfin zu ihrer Rechten unterhalten hatte, drehte sich daraufhin zu ihr um.
»Sei nicht traurig, meine Liebe. Der Tod ist nicht unerträglich, sondern eine Erlösung. Schließlich holt Gott die Seinen zu sich. Und bedenke, dass Pauline nach Wilhelms Tod noch etliche schöne Jahre hat verleben dürfen.«
Einen Moment lang wusste Wera gar nicht, wovon Olly sprach, so sehr war sie in ihre düsteren Gedanken über Eugen vertieft gewesen. Verständnislos runzelte sie die Stirn.
Olly ergriff lächelnd Weras rechte Hand und drückte sie aufmunternd.
»Bedenke, Pauline hat den Bodensee über alles geliebt. Dass sie in den letzten Jahren von Frühjahrsbeginn bis in den Spätherbst ausgerechnet an diesem Ort ein zufriedenes und glückliches Leben führte,war ein großes Geschenk für sie. In ihrer Villa Seefeld konnte sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben tun und lassen, was sie wollte. Und das hat sie in vollen Zügen genossen!«
Ruckartig entzog Wera Olly ihre Hand. Manchmal ging ihr Ollys Art, alles in ein rosarotes Licht zu tauchen, wirklich gegen den Strich.
»Meinst du etwa das Haus, das sich Pauline aus eigenen Mitteln auf der Schweizer Seite des Bodensees hat kaufen müssen, weil sie in Wilhelms Testament kaum berücksichtigt worden war? Und rührten Paulines ›glückliche Jahre‹ nicht einfach daher, dass es endlich niemanden mehr in ihrem Leben gab, der sie beleidigte, gängelte und vor anderen herabsetzte?« Mit übertriebener Geziertheit legte Wera ihre Serviette neben den Teller, dann stand sie auf. Von oben herab schaute sie ihre Adoptivmutter an und sagte schon im Gehen:
»Findest du es wirklich erstrebenswert, dass eine Frau am württembergischen Königshof Jahre voller Qualen erleiden muss, bis ihr am Ende das kleinste Glück vergönnt
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