Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
mich eine mündliche Abiturprüfung als mathematischen Hochstapler enttarnt hätte.
Zwischen Rasieren und Zähneputzen fiel mir auf, daß ich im realen Leben bisher nicht wirklich kritisch bedroht worden war. Margret war immerhin zusammengeschlagen und erpreßt worden, und Bredow hatte man in den Tod getrieben oder, wie Margret angedeutet hatte, sogar ermordet. Ich hatte lediglich einen Einbruch in meine Wohnung und eine tote Ratte in meinem Auto vorzuweisen, und von beiden Ereignissen war nicht einmal erwiesen, daß sie etwas mit meinen Recherchen zu tun hatten.
Hatte ich nicht Anspruch auf ein wenig mehr Bedrohung? Ich kam nur auf zwei Antworten: Entweder war ich mit meinen Vermutungen total auf dem Holzweg, auf dem mich der wahre Täter lächelnd weiterstolpern ließ. Oder ich war zwar auf der richtigen Spur, aber man nahm mich nicht ernst. Eine noch deprimierendere Vorstellung als die vom Holzweg. Ich kürzte das Zähneputzen ab, schmiß mich in meine Klamotten und eilte zu meinem Auto.
Die Frage, ob die interessierte Seite es einfach für nicht notwendig hielt, meinen Bemühungen mehr als freundliches Interesse zu schenken, beschäftigte mich so stark, daß mir die Konzentration fehlte, auf der Avus in den allmorgendlichen Kampf um die beste Spur einzugreifen. Prompt saß ich kurz vor dem Dreieck Funkturm im Stau. Vor und hinter mir war man gut vorbereitet. Handys wurden gezückt oder Memos auf Diktiergeräte gesprochen. Direkt neben mir saß ein wirklicher Zeitnutzer. Mit der linken Hand hielt er sein Handy ans Ohr, mit der rechten Hand rasierte er sich. Ich nahm mir vor, in Zukunft wenigstens eine Zahnbürste ins Handschuhfach zu legen.
Immerhin gab mir der Stau Zeit zum Nachdenken. Selbst wenn Margret mehr als zugegeben an Dohmke verraten haben sollte, wußte auch sie nur von meiner Suche nach Mischas Blutkonserve, und Dohmke hatte keine Ahnung, daß wir anhand Bredows geheimer Buchhaltung und mit Hilfe des Handelsregisters aufdecken würden, worum es wirklich ging. Schon fühlte mich nicht mehr so deprimiert und machte durch ein gewagtes Manöver ein paar Plätze gut. Deutlich vor dem telefonierenden Rasierer fädelte ich mich auf die Stadtautobahn ein.
Der nächste Stau erwischte mich ebenso unvorbereitet wie die Erkenntnis, daß die Gegenseite längst zu einem drastischen Schritt mir gegenüber entschlossen war und nur noch auf die passende Gelegenheit wartete! Celine war gestern nacht überzeugt davon, daß die zweite Null für die Kalium-Infusion auf Dohmkes Rechnung ging. Wenn diese Leute also den möglichen Tod von Frau Schön in Kauf nahmen, um mich unter Druck zu setzen, warum dann nicht auch meinen?
Würden schon beim nächsten schärferen Stopp die Bremsen versagen? Roch es nicht irgendwie unheimlich nach Abgasen? Jede Art von tödlichem Unfall mit dieser Karre würde keine weiteren Untersuchungen nach sich ziehen. Plötzlich war ich dankbar für den Stau, bei Schrittempo blieb mir noch eine gewisse Überlebenschance. Als der Verkehr wieder in Fahrt kam, verließ ich die Stadtautobahn. Am Sophie-Charlotte-Platz fand ich einen Parkplatz, auf dem die abgelaufene TÜV-Plakette nicht so auffallen würde, und wechselte in die U-Bahn.
Es gelang mir während meiner U-Bahnfahrt nicht, mich mit wichtigen Überlegungen zum öffentlichen Nahverkehr als Auffangposten für gescheiterte Senatoren von meinem akuten Problem abzulenken: Dohmke und seine Freunde haben ihre Bedrohung noch nicht kapiert, oder Dohmke und Co. stehen unmittelbar davor, mich als Bedrohung auszuschalten. An jeder Haltestelle entschied ich mich endgültig für die eine, an der nächsten für die andere Möglichkeit. Als ich am Wittenbergplatz umstieg, hatte ich mein Problem gelöst: Ich würde aus der ganzen Geschichte aussteigen! Und zwischen Nollendorfplatz und Gleisdreieck überzeugte ich mich davon, daß es dafür gute Gründe gab.
Mein Patient Mischa, das war inzwischen sicher, war mit seiner Hepatitis nicht Opfer der dubiosen Blutgeschäfte meiner Klinik. Was ging mich der Rest der Geschichte an? Was interessierten mich der eigentliche Eigentümer der Klinik und seine sonstigen Geschäfte? Egal ob ich persönlich Frau Schön die zehnfache Dosis Kalium verordnet hatte oder die zweite Null von Dohmke ergänzt worden war, die ursächliche Verantwortung dafür lag bei mir.
Solange ich mich auf meine Tätigkeit als Stationsarzt beschränkte, bekamen meine Patienten unverändert die Medikamente, die sie brauchten, wurden
Weitere Kostenlose Bücher