Die Saat der Bestie (German Edition)
von Finsternis.
Die Welt erscheint zu groß für Sam, die Straße zu lang und Waterbury unerreichbar fern. Wo sie hinsieht, kann sie nur Schwärze und Einsamkeit erkennen. Ihr Kopf ist leer. Maria hatte ihr gesagt, was sie selbst wusste, seit sie Davids Stadt verlassen hat. Sie trägt die Saat einer Bestie unter ihrem Herzen. Sollte so die neue Generation der Menschen aussehen? Würde die neue Welt solchen Menschen wie David und seinen Nachkommen gehören?
Sam starrt auf den Mittelstreifen der Straße. Ihr Fuß blutet wieder, weshalb die Schuhe an ihrem Rucksack schwingen. Sie fragt sich, wohin sie geht, was sie in dieser Welt verloren hat.
Sie braucht diese Welt voller Wahnsinn, Perversion und Schmerzen nicht. Sie hat dagegen angekämpft und zu guter Letzt, als sie dachte, dem Kampf unbeschadet entflohen zu sein, einen tödlichen Hieb von David erhalten. Sein Kind …
Die Welt kommt ihr fremd vor, als würde sie sich durch den finsteren, zerfallenen Vorhof der Hölle bewegen. Einige Nächte, nachdem sie Maria verließ, hatte sie sich mitten auf die Straße gelegt, die Arme ausgebreitet und in den Himmel gestarrt. Die Sterne waren ihr wie finstere Augen erschienen, die sie beobachteten. Die Straße, auf der sie lag, war für sie das Ende der Welt. Von dort aus würde es nicht mehr weitergehen. Es regnete. Sie hatte die Augen geschlossen und sich den kühlen Tropfen hingegeben. Noch nie zuvor hatte sich Sam so sehr gewünscht, zu sterben, dort, auf der Straße, irgendwo zwischen New York und Waterbury, umgeben von einer vollkommenen Stille, einer schwarzen Welt und dem sauren Gestank von Zerfall und regengetränkter Erde.
In jener Nacht waren ihr die Erinnerungen wie scheue Gespenster erschienen, die um sie herumtanzten und sich ihr nur so weit näherten, dass es Sam unmöglich war, sie länger als einen winzigen Augenblick festzuhalten.
Sie sah Mike, der kein Gesicht mehr besaß, und Bud, dessen Gesicht ein schwarzer Fleck war, als hätte es jemand mit einem Buntstift übermalt. Dann sah sie David, der ihr am ehesten wie ein Gespenst erschien. Sein Körper war gestaltlos und sein Gesicht eine verschwommene, helle Maske. Wenn Sam genau hinsah, konnte sie die grinsende Maske von Bill erkennen. Doch sie ließ auch diese Erinnerung los, ließ sich vom Regen liebkosen und wartete auf den Tod.
Doch Gott hatte noch etwas vor mit ihr. Das wusste sie, als sie am Morgen erwachte, völlig durchnässt und frierend. Die Geister der Nacht waren verschwunden, und so stand sie auf, wusch ihr Gesicht in einer Pfütze am Straßenrand, übergab sich, wie fast an jedem Morgen, und ging weiter. Diesmal alleine, ohne ihre gestaltlosen Erinnerungen.
Als Sam Waterbury erreicht, ist die Stadt ein Ort wie jeder andere. Dunkle Schatten, Gestank und Tod. Es regnet.
Sie blickt nicht zum Wohnwagenpark, wo in Kindertagen ihre beste Freundin lebte, und geht auch nicht zu ihrem Haus. Es gibt etwas, das sie erledigen muss.
Das Portal der kleinen Kirche knarrt und zerreißt die Stille der Stadt. Früher ist sie mit Mike hier gewesen, als ihre Freundin Mary heiratete und Sam und Mike sich während der Zeremonie lächelnd vielsagende Blicke zugeworfen haben. Sie hat das Gefühl, Mikes Geruch am Eingang der Kirche riechen zu können, doch schnell verwandelt sich ihre Vorstellung in den Gestank von nassen Büchern, verrottetem Holz und Staub. Die Abenddämmerung sickert durch die hohen Fenster der Seitenschiffe und legt durchscheinende Grabtücher über schwarze Bänke, steinerne Becken und bleiche Statuen.
Sam geht durch den Mittelgang bis zum Altarraum, wobei sie das Gefühl hat, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.
»Ich habe dir gesagt, ich komme wieder.«
Ihre Stimme, trotz des Flüsterns, bricht sich kalt und kriechend an den hohen Gewölben. Vor den Stufen des Altars bleibt sie stehen und betrachtet das dunkle Kreuz, das in dieser Welt keinerlei Bedeutung mehr besitzt. Spinngewebe hängt von Decken, Torbögen und Madonnen herab. Staub tanzt träge im Abendlicht.
»Ist es das, was du für deine Welt im Sinn hast?«
Sam legt die Hände auf ihren Bauch und hätte sich im selben Augenblick Davids Saat am liebsten aus dem Leib gerissen. Ihr Blick wandert von einer Heiligenstatue zur nächsten, ehe sie sich wieder dem ans Kreuz geschlagenen Geschöpf zuwendet.
»Es gab eine Zeit, da hast du den Teufel aus deinem Reich verbannt. Und jetzt?« Sie tritt auf die erste Stufe des Altars. »Jetzt hast du dich mit ihm verbrüdert und ihm
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