Die Saat der Finsternis (German Edition)
gefährlich.“
„Wie lange sind wir schon hier?“
„Etwas mehr als einen Tag“, erwiderte Lark.
Da wurde die Tür aufgerissen, und ein Wirbelwind mit nassen dunklen Locken fegte herein, gefolgt von einer jungen Priesterin. Marjis warf sich auf das Bett und verkroch sich schutzsuchend unter Lys’ Decke.
„Ich wollte ihre Haare kämmen und alles, was zu verfilzt ist, herausschneiden“, erklärte die Priesterin entschuldigend.
„Meine Ziehtochter ist bei den Minensklaven in Irtrawitt aufgewachsen“, erwiderte Lys und holte Marjis unter der Decke hervor, behielt sie aber im Arm. „Sie verweigert gewöhnlich nie den Gehorsam, womöglich habt Ihr sie erschreckt.“
Verdutzt schaute die junge Frau auf die Schere in ihrer Hand. Sie war lang und aus glänzendem Stahl geschmiedet.
„So etwas hast du wohl noch nicht gesehen?“, fragte Lys, und Marjis schüttelte verängstigt den Kopf. „Es ist keine Waffe, niemand will dir wehtun. Es soll auch keine Strafe sein.“ Das Mädchen drängte sich noch enger an ihn, furchtsam zitternd.
„Wer Angst hat, hört das Wörtchen nicht nicht mehr“, sagte eine Frauenstimme von der Tür aus. Eine ältere Priesterin trat ein, die Ähnlichkeit zwischen ihr und der jungen Frau war nicht zu übersehen – beide hatten dasselbe oval geschnittene Gesicht, die dunklen Haare, diesen scharfen Blick aus braunen Augen, denen nichts zu entgehen schien.
„Ihr seid ausgezogen, einen Freund zu suchen und kehrt mit ihm und einem Kind heim, auf Wegen, die einem Nichtgeweihten verschlossen sein sollten.“ Es klang vorwurfsvoll, obwohl sie die Stimme nicht hob.
„Wir hatten keine andere Wahl, als es mit dem Tunnel zu versuchen, denn egal, wohin wir gegangen wären, der Tod drohte uns überall“, versuchte sich Lys zu rechtfertigen. Er fühlte sich etwas überfordert mit der ganzen Priesterschar, die sich plötzlich in den Raum drängte. Als er den Blick abwandte, bemerkte er, dass sich rechts von ihm keine Mauer befand, wie er angenommen hatte, sondern ein Wandschirm, der das Zimmer zu teilen schien.
„Euer Gefährte ist dort“, sagte Lark mit einem angedeuteten Lächeln. Lys beobachtete ihn, wie er sich stumm die Erlaubnis der älteren Priesterin erfragte, bevor er aufstand und den Schirm beiseite zog. Kirian schlief noch, trotz des Aufruhrs, sah aber bereits deutlich besser aus. Es verwirrte Lys ein wenig, dass ein einziger Tag gereicht hatte, sie alle drei von der Schwelle des Todes zu holen. Anscheinend besaßen die Priester mehr Geheimnisse, als er in seinen düstersten Stunden vermutet hatte …
Marjis zappelte sich aus seinen Armen frei und hüpfte mit Schwung auf Kirians Bauch, bevor sie jemand hindern konnte. Er fuhr hoch und sprang auf die Beine, zuerst erschrocken, dann verwirrt, dann verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerz.
Diesmal konnte Lark ihn nicht zurückhalten, als Lys aus dem Bett sprang und an Kirians Seite eilte. Ihm war schwindelig, doch er kümmerte sich nicht um Übelkeit oder Schwäche. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, Kirian aufzufangen und mit ihm gemeinsam zu Boden zu gehen, wo er ihm den Kopf schützte, als Kirian am ganzen Körper zu krampfen begann. Solch schwere Anfälle hatte er zwei, dreimal gehabt in den ersten Tagen, die Lys bei den Sklaven verbracht hatte. Er wusste, dass er ihm eigentlich etwas zwischen die Zähne klemmen müsste, um zu verhindern, dass Kirian sich auf die Zunge biss; ihm fehlten das geeignete Mittel und die Kraft, also hielt er ihm den Kopf und hoffte, dass nichts geschehen würde.
Wie üblich dauerte es nur einige wenige Augenblicke lang, bis sich die Anspannung aus Kirians völlig verkrampftem Körper löste und er schweißgebadet und stöhnend in Lys’ Armen zusammensank, erschöpft, aber bei Bewusstsein. Marjis reichte ihm mit eifrigem Lächeln ein Kissen an, sie kannte diese Anfälle zu gut, um sich davor zu ängstigen.
„Es ist so, wie unser Bruder aus Irtrawitt erzählt hat, er kann unseren Anblick nicht ertragen“, sagte eine fremde Stimme. Ein Priester hatte sich zu der Schar gesellt, die mittlerweile den kleinen Raum bevölkerte. Lys sah sofort, dass dieser eher kleinwüchsige, schlank gebaute Mann eine wichtige Persönlichkeit sein musste. Die anderen Geweihten wichen respektvoll vor ihm zurück, nur die ältere Priesterin nicht. Das schmale Gesicht des Mannes war alterslos, er konnte ebenso gut Anfang dreißig wie Ende fünfzig sein.
„Mein Name ist Onjerro, ich bin, gemeinsam mit Nayamé, das
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