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Die Saat Der Makellosen

Die Saat Der Makellosen

Titel: Die Saat Der Makellosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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Dinge, gegen die sie sich nicht zur Wehr setzen können würde, auch wenn sie sonst keine Angst vor Angriffen hatte. Im Beruf hatte sie dieses Gefühl niemals gekannt, selbst wenn sie sich in brenzligen Situationen befunden hatte. Ihre Schwäche lag tief in ihr drin begraben und hatte nichts mit ihrem Beruf als Polizistin zu tun gehabt.
Überleben … Dahinter steckte Zwang. Wenn sie sich weigerte, dann endete sie wie Marga, die den Tod einem Leben mit ihren Kindern vorgezogen hatte. Wenn Bekky nicht wäre, dann vielleicht, aber sie musste ihrer Schwester vormachen, wie es ging, damit sie, wenn ihre Zeit gekommen war, denselben Weg leichteren Herzens gehen konnte.
Sie hatte es damals geschworen. Und sich erneut versprochen, als sie Bekky endlich gefunden hatte. Niemals würde sie das erste Treffen nach so vielen Jahren vergessen. Was für eine Erleichterung es gewesen war, zu erfahren, dass ihre kleine Schwester ein glückliches Leben geführt hatte. Das hatte eine zentnerschwere Last von ihren Schultern genommen.
Welche Wahl blieb ihr also? Keine. Da konnte Rys Harper es so zurückhaltend formulieren, wie er mochte. Er wusste es wahrscheinlich selbst, dass ihr jede Erklärung ihr wie eine Farce vorkommen musste.
     
    Schließlich setzte Rys sich zu ihr an den Tisch, griff nach ihrer Hand und bemühte sich, an Dinge zu denken, die ihr die unverfänglichsten Bilder von ihm liefern würde. Er dachte einfach an sie. An ihr Lächeln, an ihre Ohrfeige und an den Abend, als er sie ohnmächtig auf die große Couch in seinem Apartment gelegt hatte.
    Romy konnte sich in letzter Sekunde davon abhalten, vor ihm zurück zu zucken, als er ihre Hand ergriff. Sie beherrschte die Fähigkeit nicht perfekt, aber mit Hilfe von Konzentration und Willenskraft war sie durchaus in der Lage, Bilder abzuwehren. Allerdings schnappte sie dabei seine Gedanken auf, die sich um sie drehten. Als würde sie in einen Spiegel sehen. Sich hilflos und ohnmächtig auf seiner Couch zu sehen, ließ sie den Blick senken. Das war nicht das Bild, das sie von sich vermitteln wollte. Das schrie geradezu: Komm und beschütz mich!
Sie musste aber lernen, sich selbst zu beschützen, um in der neuen Welt bestehen zu können. Sie hatte sich noch nie auf jemand anderen verlassen außer auf sich selbst. Und dabei würde es bleiben. Anders wurde man nur verlassen.
    „Ihre Mutter war wirklich krank, Romana. Mit Ihnen hat das nichts zu tun. Sie haben einen wachen Verstand, sind jederzeit dazu in der Lage, Gutes vom Bösen zu unterscheiden und die Verwandlung, von der mein Bruder zu Ihnen gesprochen hat, hat rein gar nichts mit bevorstehendem Wahnsinn zu tun. Vergleichen Sie Ihren Körper mit dem einer kleinen Raupe. Diese ist dazu bestimmt, ein Schmetterling zu werden, hoch hinaus zu fliegen und die Welt zu entdecken, am Ende gar zu erobern. Auch eine Raupe weiß zu Beginn ihres Lebens nicht, was ihr vorherbestimmt ist. Bis sie eines Tages dann der Ruf der Natur ereilt. Ihre Instinkte befehlen ihr, sich zu verändern. Sich zu entwickeln. Das Gefühl der Ruhelosigkeit und dessen, dass da noch mehr ist außer dem Fressen von Blättern und dem faulen Herumliegen in der Sonne, die auf den Garten scheint, in dem die kleine Raupe bisher ihr friedliches, kleines Leben gelebt hat, zwingt sie dazu, einen Kokon zu spinnen, sich darin einzuhüllen und schließlich als ein Schmetterling wiedergeboren zu werden. Würde die kleine Raupe dagegen ankämpfen und sich sagen, sie bliebe lieber so, wie sie ist, und fräße weiterhin den ganzen Tag nur die grünen Blätter, läge faul herum und täte nichts, dann käme irgendwann ein Vogel, der sie frisst, ein großer Regen, der sie ertränkt oder aber auch einfach nur der Tod auf dem Blatt, weil für sie nicht bestimmt war, für immer eine Raupe zu sein.“
    Raupe… Kokon… Schmetterling … So etwas Ähnliches hatte sein Bruder auch gesagt. Ging es um ihr Äußeres? Wohl nicht nur… Er selbst war über dreihundert Jahre alt und wirkte keinen Tag älter als dreißig. Sie hatte die letzten zwanzig Jahre schon als Qual empfunden, warum sollte sie ein so langes Leben anstreben? Eine entsetzliche Vorstellung. Wie sollte sie das Bekky nur begreiflich machen? Sie würde sie doch für verrückt erklären oder schlimmer noch total ausrasten. Es klang einfach zu irre.
    Rys drückte vorsichtig ihre kleine Hand. Seine war mindestens doppelt so groß. Er könnte ihr mit Leichtigkeit sämtliche Knochen brechen, wenn man sie miteinander verglich.

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