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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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angelogen? Warum wollte sie mit ihm schlafen, wenn sie ihn am nächsten Tag umbringen wollte?
    Wenn Aamu seine Frau ermordet hat, dann muss er sie nur noch finden, dann ist er am Ziel, oder?
    Warum empfindet er nicht wenigstens ein wenig Genugtuung? Stattdessen dehnt sich die Leere immer weiter in seinem Innern aus, ein riesiges schwarzes Loch, in das alles Leben hineinstürzt.
15  
Uganda
    Ich habe begriffen, was jeder Afrikaner hier von Kindheit an weiß: Tag und Nacht sind unterschiedliche Welten. Kann der Mensch am Tag in der Welt zurechtkommen, macht ihn die Nacht wehrlos, liefert ihn seinen Feinden aus, die ihm in der Dunkelheit auflauern und ihm nach dem Leben trachten.

    Henrik hält inne, lauscht. Er glaubt das Schnarchen der Kranken aus den Zimmern zu hören, die Flurtür steht offen, ein leichter Wind weht herein und bewegt ein wenig den Kalender mit den europäischen Landschaftsmotiven an der Wand neben dem Fenster. Ein dichtes sonnengelbes Rapsfeld unter einem königsblauen Himmel, und in der Ferne ragt die Spitze eines Kirchturms auf. Seit jener Nacht denkt er daran, nachHause zu fahren. Zurück nach Deutschland, nach München, in die kultivierte Zivilisation … Er denkt an die Zeit mit Uma, bevor sie ihn anlog und statt zu ihren Reitstunden zu Heiko ging. Es kommt ihm vor, als hätte ein anderer jenes Leben geführt, ein einfältiger, naiver Junge, der glaubt, stets auf der Sonnenseite des Lebens wandeln zu können. Wenn er verlassen wird, dann sucht er sich eben etwas anderes im Leben. Er ist einer gewesen, der den Tod nur aus der Klinik und aus dem Fernsehen gekannt hat.
    Aber jene Nacht hat ihm gezeigt, dass sein Leben, das ihm immer so sicher und stabil erschien, von einer Sekunde auf die nächste ausgelöscht werden kann. Etwas, das stets nur für andere, nie für ihn gegolten hat. Die Nacht hat alles verändert. Nicht nur ihn, auch die Tierstimmen draußen, das Kreischen der Vögel, die Musik aus den Radios, ja jedes Klappern von Absätzen oder, schlimmer noch, das fast lautlose Gehen von nackten Füßen auf Gras oder Sand oder auf dem Linoleum des Klinikflurs – all das macht ihm jetzt Angst, lässt ihn zusammenzucken und lauschen und beschwört das schreckliche Szenario immer und immer wieder herauf. Er fürchtet sich davor, die Augen zu schließen, zu schlafen, mit dem Rücken zu einer Tür oder einem Fenster zu stehen, in seine Hütte zurückzugehen – und das Schlimmste: Er fürchtet sich vor den Patienten. Die Angst, die er am Tag noch niederkämpfen kann, drängt jetzt, in der Nacht, aus der Tiefe seines Innern herauf, wird zum Albtraum, der ihn hetzt.
    Heute wird er nicht allein in der Klinik sein, Dr. Bleibtreu ist wieder da. Aber könnte der ihn retten?
    Henrik trinkt einen Schluck von dem Teegebräu, das Mary ihm nach dem Abendessen gemacht hat. Es beruhigt, hat sie gesagt.
    Sam ist wohl nicht durch den Aufprall auf den Bettpfosten gestorben, sondern an seiner Krankheit. Kurzschluss, Fehlzündung im Gehirn. Exitus, hat Dr. Bleibtreu konstatiert,am nächsten Morgen, als er aus Entebbe zurückgekehrt war. Die Polizei hat sich eingeschaltet. Eine größere Untersuchung wird es nicht geben, hat Dr. Bleibtreu ihn beruhigt.
    Er trinkt den Becher leer und fängt wieder an zu tippen.

    Sam, ein AIDS -Patient, hat in der Nacht einen Anfall bekommen und mit der Axt vier Patienten abgeschlachtet, bevor er dann selbst gestorben ist. Die Axt muss er aus dem Gartenhaus genommen haben, niemand weiß, wieso der sonst so friedfertige Sam plötzlich zum Monster wurde.
    Fehlsteuerung im Gehirn, meinte Dr. B., als Folge von AIDS . 28 Millionen Menschen sind weltweit mit dem Virus infiziert. Schöne Aussichten.
    Bei Sam war mir aufgefallen, dass er zwei Tage vor dem Anfall Sprachprobleme und Schwindelanfälle hatte. Dieselben Symptome wie bei den verstorbenen Kindern.

    Wenn Dr. Bleibteu davon erfährt, dass Henrik im Internet über ihn schreibt, wird er einen Tobsuchtsanfall bekommen. Vor der Sache mit Sam hätte Henrik sich davor gefürchtet. Doch jetzt? Wenn man dem Tod ins Auge geblickt hat, hat man nie wieder Angst, erinnert er sich, das hat er irgendwo einmal gelesen.
16 Donnerstag, 3. April
Bali
    Nicolas nimmt eine kurze Dusche, zieht ein kräftig blaues T-Shirt und den Sarong an, Sachen, die Pierre ihm am vergangenen Abend noch vorbeigebracht hat, damit er sich »anders« fühlt, wie er sich ausgedrückt hat, schlüpft in Flip-Flops und nimmt den Memorystick aus seinem Gepäck.
    Der von

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