Die Saat - Ray, F: Saat
mit einer Gehaltsüberweisung der Werbeagentur BB&T in Paris. Deren Personalabteilung hat die Polizei informiert, dass der Grafiker seit zwei Tagen nicht im Büro erschienen und auch zu Hause nicht anzutreffen war.
»Marc Bohin, jetzt Lappé. Jeder, der mit Gombert in Verbindung stand, muss sterben«, sagt David und schnäuzt sich, seine Augen sind gerötet, und wenn er nicht krankgefeiert hätte, hätte Lejeune sogar ein wenig Mitgefühl gezeigt. So aber nickt sie nur. »Sie wussten was. Oder der Mörder hat geglaubt, dass sie was wussten.« David lässt sich hinter seinen Schreibtischfallen. Er sieht wirklich krank aus, muss sie zugeben. Lejeune steckt das Kaffeepad in die Maschine.
»Und wenn Gombert unser Mann ist?«, fragt David.
»Kam er Ihnen so abgebrüht vor?« Lejeune drückt auf den Einschaltknopf.
David zuckt mit den Schultern. »Nicht wirklich, aber ich sehe doch auch harmlos aus, oder?«
Lejeune wendet sich vom Anblick der schaumig beigen Flüssigkeit ab, die duftend in die weiße Porzellantasse läuft. Ein echter Luxus, denkt sie jedes Mal. »Was wollen Sie damit sagen?«
David grinst unbeholfen. »Nichts.« Er sieht sie unsicher an. »Gar nichts.«
Lejeune wirft einen Blick auf die Schrift von Davids T-Shirt. EARTH steht darauf, in Form einer Weltkugel. Na wunderbar! »Wir haben unsere politische Einstellung nicht wie ein Aushängeschild vor uns herzutragen, David«, maßregelt sie ihn und nimmt die Tasse heraus.
»Ach das?« Er sieht an sich herunter und kratzt sich am Kopf. »Weiß nicht, was daran politisch ist.«
Bloß keine Grundsatzdiskussion! Soll er halt. Wenn er einen Anschiss von oben bekommt, ist das seine Sache. Sie ist nicht sein Kindermädchen – oder schlimmer noch, seine Mutter. Sie starrt auf ihre Tasse. Sie hat vergessen, ob es der dritte oder vierte Kaffee heute ist, wenn es der vierte ist, trinkt sie ihn schwarz.
»Neuigkeiten von der Spurensicherung in Méautis?« Sie entscheidet sich für schwarz. David zögert. »Was ist, David? Immer noch müde?« Wahrscheinlich ist er beleidigt wegen ihrer Bemerkung über sein T-Shirt.
»Die Verletzungen von Marc Bohin wurden ihm mit einem Rasiermesser zugefügt«, liest er nun vor. »Dabei handelt es sich offenbar um so eins, das Friseure benutzen, diese altmodischen aufklappbaren Dinger.«
Der Kaffee ist heiß und bitter, genau richtig für die Art von Fragen, denen sie sich stellen muss. Warum kein richtiges Messer? Warum keine andere Waffe? Wer benutzt heutzutage so etwas?
»Es ist unauffällig, wird erst mal nicht als Waffe wahrgenommen«, denkt sie laut. Sie trinkt den Kaffee aus. Sie müssen ihre Berichte zusammenstellen. In einer Stunde ist die erste Besprechung der Sondergruppe Ratte.
»Moment, ich hab hier noch eine Nachricht von der Gerichtsmedizin zum Fall Harris.« David runzelt die Stirn.
Lejeune nimmt ihm die Nachricht aus der Hand.
10
Uganda
Heute Nachmittag sind vier Kinder gestorben. Wegen plötzlicher Sprachstörungen und Schwindelanfällen waren sie von Schwester Gabriela, die einen mobilen Gesundheitsservice hat, zu uns gebracht worden. Sie sagte, im selben Dorf hätten drei Erwachsene dieselben Symptome gehabt und wären innerhalb von vier Tagen gestorben.
Die HIV-infizierten Kinder sind zu spät behandelt worden. Sie haben vielleicht eine Toxoplasmose gehabt, die Infektionskrankheit, die durch den Parasiten Toxoplasma gondii von katzenartigen Tieren übertragen wird. Bei einem geschwächten Immunsystem können sich in allen Organen, vor allem aber im Gehirn, Entzündungen bilden.
Ich habe Dr. Bleibtreu gefragt, ob er nie Obduktionen macht, da hat er nur gelacht. »Als wenn ich dazu Zeit hätte.«
Eines der kranken Kinder heißt Alisha. Sie ist so zierlich, man hat Angst, sie zu zerbrechen, wenn man Blutdruck misst oder ihr Blut abnimmt. Ihr Muskelzittern ist nicht verschwunden, und heute früh habe ich Alisha vom Boden aufheben müssen, weil sie einfach über ihre eigenen Füße gestolpert ist. Ihre großeSchwester musste zu den anderen Kindern zurück, sie ist die Älteste, sie muss sich um die Kleinen kümmern, dabei ist sie selbst erst zwölf.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nur drei Prozent des medizinischen Fachpersonals weltweit sind nach UN-Angaben in Schwarzafrika tätig – obwohl dort elf Prozent der Weltbevölkerung leben und fünfundzwanzig Prozent des weltweiten Krankheitsaufkommens verzeichnet werden. Aus Uganda wandern Ärzte und Krankenschwestern ab, vor allem in
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