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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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geraten. So etwas passiert ja immer wieder. Und Sie werden wohl kaum wollen, dass Mr. Bolivars Krankenakte an die Presse durchsickert, richtig?«
    Der Anwalt machte große Augen. »Das sind vertrauliche Informationen. Sie zu veröffentlichen wäre strafbar.«
    »Und überaus peinlich«, ergänzte Eph, wobei er dem Anwalt eine weitere Sekunde fest in die Augen sah, um seiner Bemerkung den nötigen Nachdruck zu verleihen. »Stellen Sie sich mal vor, jemand würde
Ihre
komplette Krankenakte ins Internet stellen.«
    Der Anwalt stand mit offenem Mund da, während sich Eph an den zwei Leibwächtern vorbeidrückte.
     
    Joan Luss - Teilhaberin einer großen Anwaltskanzlei, Mutter zweier Kinder, Swarthmore-Absolventin, wohnhaft in Bronxville, einer der wohlhabendsten Gemeinden der Vereinigten Staaten, sowie Mitglied der renommierten Junior League - saß in diesem lächerlichen OP-Kittel auf der Schaumstoffmatratze ihres Krankenhausbetts. Sie machte sich Notizen auf die Hülle einer Matratzenauflage. Sie schrieb und wartete und wackelte dabei mit den Zehen. Nach wie vor wollte man ihr das Telefon nicht zurückgeben; einiges Zureden und Drohen waren erforderlich gewesen, um zumindest einen Bleistift zu erhalten.
    Sie wollte gerade noch einmal auf den Summer drücken, als endlich die Schwester kam. Joan setzte ihr Ich-will-Ergebnisse-sehen-Lächeln auf. »Ah, da sind Sie ja. Hören Sie, wie hieß noch gleich der Arzt, der eben bei mir war?«
    »Er gehört nicht zur Klinik.«
    »Das ist mir schon klar. Ich habe nach seinem Namen gefragt.«
    »Dr. Goodweather.«
    »Goodweather.« Joan notierte sich das. »Hat er auch einen Vornamen?«
    »Doktor.« Die Schwester lächelte gezwungen. »Für mich haben die alle den gleichen Vornamen - Doktor.«
    Joan kniff die Augen zusammen, als hätte sie nicht richtig gehört, und rutschte auf den steifen Laken hin und her. »Und er kommt von der Seuchenschutzbehörde?«
    »Ich glaube ja. Er hat eine Reihe Tests angeordnet, die in diese Richtung ... «
    »Wie viele weitere Überlebende gab es bei dem Absturz?« »Also ... es gab keinen Absturz.«
    Joan grinste. Um sich verständlich zu machen, war es zuweilen hilfreich, wenn man sich vorstellte, dass Englisch nicht die Muttersprache des Gegenübers war. »Was ich meine, Schätzchen, ist: Wie viele weitere Personen an Bord des Fluges 753 von Berlin nach New York sind nicht ums Leben gekommen?«
    »Auf unserer Station befinden sich außer Ihnen noch drei weitere Patienten. So, Dr. Goodweather möchte, dass ich Ihnen jetzt Blut abnehme und ... «
    An diesem Punkt blendete Joan die Schwester einfach aus.
    Der einzige Grund, weshalb sie überhaupt noch in diesem Krankenhaus war, war, dass sie mehr in Erfahrung bringen konnte, wenn sie eine Weile mitspielte. Diese Strategie stieß nun allerdings an ihre Grenzen. Joan Luss war eine auf Schadensersatzrecht spezialisierte Anwältin. Sämtliche Passagiere eines Flugzeuges bis auf vier sterben - und darunter ist ausgerechnet eine Schadensersatzanwältin.
    Arme Regis Air! Aus Sicht der Fluglinie hatte die Falsche überlebt.
    »Ich hätte gerne eine Kopie meiner Krankenakte«, sagte sie, »nebst einer vollständigen Auflistung aller durchgeführten Laboruntersuchungen sowie deren Ergebnissen ... « Ihre Stimme versagte.
    »Mrs. Luss? Alles in Ordnung?«
    Joan hatte für einen kurzen Augenblick das Bewusstsein verloren. Sicher nur eine Nachwirkung dessen, was ihr während dieses schrecklichen Fluges widerfahren war. Sie lächelte und schüttelte energisch den Kopf. Die Wut würde ihr Energie für die nächsten tausend voll abrechenbaren Stunden geben, die sie damit verbringen würde, diese Katastrophe unter die Lupe zu nehmen und die mehr als fahrlässig handelnde Fluggesellschaft vor Gericht zu zerren.
    »0 ja«, erwiderte sie. »Bald wird alles in bester Ordnung sein.«
     
    Regis- Air- Wartungshangar
     
    »Keine Fliegen«, sagte Eph. »Wie bitte?«, fragte Nora.
    Sie standen vor den Leichensäcken, die neben dem Flugzeug aufgereiht waren. Die vier Kühllastwagen waren inzwischen in den Hangar gefahren; ihre Fischmarktbeschriftung war aus Respekt mit schwarzer Plane abgedeckt worden. Mitarbeiter der New Yorker Gerichtsmedizin hatten alle Leichen identifiziert und jeder ein mit einem Barcode versehenes Schild um den großen Zeh gebunden. Im Behördenjargon wurde eine derartige Katastrophe als »Typ geschlossenes Universum« bezeichnet, mit einer klar eingrenzbaren Anzahl von Opfern - also das genaue

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