Die Säulen der Schöpfung - 13
Sebastian zu; sie war verwirrt, daß er dem Mann gesagt hatte, er werde nach Einbruch der Dunkelheit wiederkommen. »Wir können unmöglich den ganzen Tag hier bleiben.«
»Natürlich nicht. Der Mann ist ein Halsabschneider. Ich mußte ihn fragen, ob er Pferde verkauft, also weiß er, daß ich das nötige Geld dafür habe, und will mich darum erleichtern. Gingen wir nach Einbruch der Dunkelheit dorthin zurück, hätte er wahrscheinlich ein paar Freunde irgendwo in einem dunklen Winkel versteckt, die uns auflauern, um uns übers Ohr zu hauen.«
»Er ist ein Dieb? Ist das Euer Ernst?«
»Hier wimmelt es nur so von Dieben.« Sebastian beugte sich zu ihr, einen Ausdruck unerbittlicher Harte im Gesicht. »Das hier ist D’Hara – ein Land, in dem die Schwachen von den Habgierigen und Schamlosen ausgebeutet werden, wo sich die Menschen einen Teufel um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen scheren, und noch viel weniger um die Zukunft der Menschheit.«
Jennsen wußte nur zu gut, was er meinte. Auf dem Weg zum Palast des Volkes hatte Sebastian ihr ja von Bruder Narev und seinen Lehren erzählt, von seiner Hoffnung auf eine Zukunft, in der nicht Leiden das Schicksal der Menschen bestimmte, in der es weder Hunger noch Krankheit oder Grausamkeit gab und jeder auf das Wohl seiner Mitmenschen achtete. Sebastian hatte ihr erklärt, mit der gütigen Hilfe Jagangs des Gerechten und dem Willen aller anständigen und rechtschaffenen Menschen werde die Bruderschaft der Ordnung dies herbeiführen. Jennsen hatte Mühe, sich eine so wundervolle Welt vorzustellen, eine Welt fernab von Lord Rahl.
»Aber wenn der Mann ein Dieb war, wieso habt Ihr dann gesagt, Ihr kämet wieder?«
»Wenn ich ihm erzählt hätte, ich könnte nicht warten, hätte er seinen Kumpanen womöglich gleich einen Wink gegeben. Wir kennen sie nicht, aber sie uns; für sie wäre es bestimmt ein Leichtes, einen Ort zu finden, wo sie uns überraschen können.«
»Glaubt Ihr das wirklich?«
»Wie ich schon sagte, hier wimmelt es nur so von Dieben. Wenn man nicht acht gibt, kann es leicht geschehen, daß einem jemand den Geldbeutel vom Gürtel schneidet, ohne daß man etwas merkt.«
Gerade wollte sie ihm gestehen, daß ihr genau das bereits passiert war, als sie ihren Namen rufen hörte.
»Jennsen! Jennsen!«
Es war Tom. Dank seiner Körpergröße ragte er wie ein Fels aus der Brandung, trotzdem hatte er die Hand gehoben und winkte ihr so als befürchtete er, sie könnte ihn womöglich übersehen.
Sebastian beugte sich zu ihr. »Ihr kennt ihn?«
»Er hat mir geholfen, Euch freizubekommen.«
Für weitere Erklärungen hatte Jennsen keine Zeit, weil sie dem hünenhaften Mann, der ihr so überschwenglich zuwinkte, mit einem Lächeln zeigen wollte, daß sie ihn gesehen hatte. Tom freute sich wie ein junger Hund, sie wiederzusehen, und verließ augenblicklich seinen Stand, um sie mitten auf der Straße zu begrüßen.
Tom strahlte über das ganze Gesicht. »Ich wußte, daß Ihr wie versprochen kommen würdet. Joe und Clayton haben mich deswegen schon für verrückt erklärt, aber ich hab ihnen gesagt, Ihr würdet Wort halten und noch kurz vorbeischauen, bevor Ihr aufbrecht.«
»Ich … ich komme gerade aus dem Palast.« Sie klopfte mit der Hand auf ihren Umhang, auf die Stelle, unter der das Messer versteckt war. »Ich fürchte, wir sind sehr in Eile und müssen sofort aufbrechen.«
Tom nickte verständnisvoll. Er ergriff Sebastians Hand und schüttelte sie, als wären sie alte Freunde, die sich lange nicht gesehen hatten.
»Ich bin Tom. Ihr müßt der Freund sein, dem Jennsen helfen wollte.«
»Ganz recht. Ich bin Sebastian.«
Tom wies mit zur Seite geneigtem Kopf auf Jennsen. »Sie hat’s faustdick hinter den Ohren, was?«
»Jemand wie sie ist mir noch nie begegnet«, pflichtete Sebastian ihm bei.
»Etwas Besseres als eine Frau wie sie an seiner Seite kann sich ein Mann nicht wünschen«, bestätigte Tom. Dann trat er zwischen sie, legte ihnen die Arme um die Schultern, um jedes Entrinnen unmöglich zu machen, und führte sie zu seinem Stand. »Ich hab etwas für Euch beide.«
»Und was soll das sein?«, fragte Jennsen.
Sie konnten es sich nicht leisten, Zeit zu verlieren. Sie mußten unbedingt fort sein, bevor der Zauberer sich entweder selbst auf die Suche nach ihnen machte oder ihnen Truppen hinterhersandte. Jetzt, da Nathan sie gesehen hatte, konnte er den Palastwachen eine Personenbeschreibung geben. Bestimmt waren ihre Gesichter langst überall
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