Die Säulen der Schöpfung - 13
flüsterte sie. Rusty antwortete auf ihre besänftigenden Worte mit einem leisen Wiehern.
Jennsen blickte hoch in das krallenartige Geäst, das sich im fahlen Licht eines hinter einem zarten, milchigen Wolkenschleier verborgenen Vollmondes, der wie ein stummer Zeuge über den Himmel zog, sanft wiegte.
»Kommst du?«
»Ja, Schwester Perdita.«
»Dann beeil dich. Die anderen warten bestimmt schon.«
Jennsen folgte der Frau eine Böschung hinauf. Der moosbewachsene Boden war übersät mit festem, vertrocknetem Eichenlaub und einer Schicht aus dünnen Zweigen. Gelegentlich aus dem lockeren Lehmboden zu Tage tretende Wurzeln gaben genug halt, um den steilen Abhang zu erklimmen; oben wurde das Gelände ebener. Jennsen fiel auf, daß Schwester Perditas Bewegungen für eine Frau von so kräftiger Statur von erstaunlicher Geschmeidigkeit waren.
Die Stimme blieb stumm. In Augenblicken erhöhter Anspannung, so wie jetzt, flüsterte die Stimme normalerweise auf sie ein; jetzt aber schwieg sie. Jennsen hatte sich immer gewünscht, die Stimme würde sie endlich in Frieden lassen, aber jetzt dämmerte ihr ganz langsam, wie beängstigend diese Stille sein konnte.
Da der Mond nur hinter einem feinen Wolkenschleier verborgen war, spendete er ihnen genug Licht, um sich vorwärts zu tasten. Jennsen konnte ihren Atem in der kalten Luft sehen, als sie der Schwester zwischen niedrigen, ausladenden Tannen- und Fichtenzweigen hindurch mitten in den Wald hinein folgte. Früher hatte sie sich in den Wäldern stets zu Hause gefühlt, doch als sie der Schwester jetzt in diesen Wald hinein folgte, wollte sich dieses Gefühl nicht so recht einstellen.
Sie wäre lieber allein gewesen statt in Gesellschaft einer derart unfreundlichen Frau. Kaum hatte Jennsen ihr gegenüber jenes eine Wort ausgesprochen, das Sebastians Leben retten würde, hatte Schwester Perdita ein Verhalten unverhohlener Überheblichkeit an den Tag gelegt, das jede Toleranz vermissen ließ. Mittlerweile hatte sie eindeutig das Sagen und war sicher, daß Jennsen dies ebenfalls wußte.
Wenigstens hatte sie Wort gehalten. Unmittelbar nach Jennsens Zusage hatte sie einige andere Schwestern gedrängt, die Rettung von Sebastians Leben in Angriff zu nehmen. Während sie vorgeschickt wurden, um ihre wie auch immer gearteten Vorbereitungen zu treffen, erhielt Jennsen Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß alles Menschenmögliche für seine Rettung getan wurde.
Bevor sie ihn verließ, hatte sie sich über ihn gebeugt und ihm einen zarten Kuß auf seinen hübschen Mund gehaucht, ihm zärtlich über sein weißes Stoppelhaar gestrichen und seine geschlossenen Augen mit den Lippen gestreift. Dann hatte sie ein leises Gebet an ihre bei den Gütigen Seelen weilende Mutter gesprochen und sie gebeten, über ihn zu wachen.
Schwester Perdita hatte sie weder daran gehindert noch zur Eile gedrängt; erst ganz zum Schluß hatte sie Jennsen sacht zurückgezogen, ihr leise zugeraunt, man müsse die Schwestern, die sich bereits um ihn drängten, jetzt allein lassen, damit sie ihre Arbeit verrichten konnten.
Auf dem Weg nach draußen hatte Jennsen einen kurzen Blick in das Privatgemach des Kaisers werfen dürfen, wo sie vier Schwestern tief über sein verwundetes Bein gebeugt sah. Der Kaiser hatte das Bewußtsein verloren. Die vier fieberhaft um den Kaiser bemühten Schwestern schienen selbst Schmerzen zu leiden, denn manchmal faßten sie sich gequält an den Kopf. Erst als sie diese Schwestern sah und Schwester Perdita es ihr erklärte, wurde Jennsen bewußt, wie unangenehm und schwierig das Heilen sein konnte. Anders als in Sebastians Fall waren sie allerdings nicht besorgt, das Leben ihres Patienten sei unmittelbar in Gefahr.
Jennsen bog einen Tannenzweig zurück und folgte der Schwester tiefer in den unheimlichen Wald.
»Wieso müssen wir uns eigentlich so weit vom Feldlager entfernen?«, fragte Jennsen flüsternd. Bereits der Ritt hierher schien Stunden gedauert zu haben.
Schwester Perditas zusammengebundenes Haar fiel nach vorn über ihre Schulter, als sie nach hinten schaute, so als sei dies eine ganz besonders dumme Frage. »Damit wir unter uns sind, um zu tun, was getan werden muß.«
Jennsen versuchte nicht daran zu denken, was sie erwartete, sondern versuchte sich statt dessen vorzustellen, wie sie am nächsten Morgen mit dem wieder genesenen Sebastian aufbrechen, wie sie mit ihm durch die Lande reiten würde – fernab der vielen Menschen und vor allem fernab der grimmig
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