Die Säulen des Feuers
vertraue. Ich würde ihm den Rücken zuwenden in den Straßen, und ich traue ihm im Palast …«
Molin Fackelhalter lehnte sich an den ausgestreckten Flügel eines Wasserspeiers. Er wäre lieber anderswo gewesen, weit weg von den Mauern dieser Stadt, aber der Winter ergab sich endlich Freistatts fünfter Jahreszeit – der Schlammzeit –, und so verzweifelt war er nun auch wieder nicht, daß er sich diesen Sümpfen anvertrauen wollte, die eigentlich Straßen und Plätze sein sollten. Außer ihm war niemand auf dem Palastdach, wenn man die paar Arbeiter und Büglerinnen nicht rechnete, die ihn bestimmt nicht belästigen würden. Er schloß die Augen und genoß die sanfte Wärme der Sonne.
Auf seine methodische Weise wertete er die Gespräche und Gerüchte aus, die er gehört hatte. Der Garnisonskommandant Walegrin entwickelte doch noch Eigeninitiative. Er hatte freundschaftliche Bande zu Straton und Tempus Thales' Tochter geknüpft. Das war ein gutes Zeichen. Allerdings war es kein so gutes Zeichen, daß Straton sich auf der Straße herumtrieb, fern von sowohl Ischade wie den Stiefsöhnen, und offenbar Geschäfte mit Jubal machte. Und die Bestätigung, daß Kama das Gehirn hinter der VFBF war, war die schlimmste Information seit Monaten – obwohl es ihn nicht überraschte. Tempus, der selbst unter den günstigsten Umständen unberechenbar war, würde zum verkörperten Chaos werden, falls ein Angehöriger seiner tatsächlichen oder eingebildeten Familie gegen einen anderen vorging.
Die winselnde Falkenmaske, die von der Garnison verhört worden war, hatte alles über Ischade erzählt, was sie wußte, und eine Menge, was sie nicht wußte. Wie Straton fand es der Priester interessant, daß Ischade in ihrem eigenen Haus Rivalen hatte – Rivalen, die aus einer ilsigischen Vettel eine rankanische Dame machen konnten. Molin wußte, daß die Nekromantin sich von ihrer Magie abgewandt hatte, seit ihr Rabe ohne Botschaft auf seinem Bettpfosten erschienen war und nicht zurückkehren hatte wollen. Wenn Ischade wieder zu sich fand, würde er es durch das Verschwinden des Vogels wissen. Wenn nicht, nun, Jihan konnte die Kinder beschützen, Randal seine Kugel, und es war ihm egal, ob der Rest der Magie sich selbst zerstörte.
Eigentlich waren die Gedanken zufriedenstellend, die ihm durch den Kopf gingen. Die Straßenmächte – Stiefsöhne, Jubals Bande, das 3. Kommando, die Garnison – zügelten ihre Vorurteile und Rivalitäten. Freistatt – das Freistatt aus Fleisch und Blut – würde ruhig sein, wenn die kaiserliche Abordnung eintraf. Die Auflösung der Magie und die Grübelei von Tempus Thales waren im Vergleich dazu lösbare Probleme.
»Ah, Lord Fackelhalter – hier seid Ihr also!«
Prinz Kadakithis' unerträglich vergnügte Stimme riß den Priester aus seinen Überlegungen.
»Ihr seid manchmal verflixt schwer zu finden, Lord Fackelhalter. Nein, steht nicht auf, ich setze mich neben Euch.«
»Ich will nur ein bißchen Sonne genießen – und die Ruhe.«
»Das verstehe ich. Deshalb bin ich Euch gefolgt – um einmal allein mit Euch reden zu können. Lord Fackelhalter – ich bin verwirrt.«
Molin warf einen abschiednehmenden Blick auf den schimmernden Hafen und widmete seine volle Aufmerksamkeit dem goldhaarigen Prinzen, der sich ihm gegenüber hockte. »Ich stehe Euch zur Verfügung, mein Prinz.«
»Ist Roxane tot, oder lebt sie noch?«
Der junge Mann stellte heute keine leichten Fragen. »Weder noch. Das heißt, wir würden es wissen, wenn sie tot wäre – eine Seele wie ihre müßte ziemlichen Lärm verursachen, wenn sie in die Hölle fiele. Und wir wüßten es, wenn sie noch lebte – im normalen Sinn des Wortes. Sie ist verschwunden, daraus läßt sich eher schließen, daß sie lebt, als daß sie tot ist; daß sie sich irgendwo versteckt hat, wo Jihan sie nicht finden kann – obwohl so ein Versteck kaum vorstellbar ist. Sie könnte, vermute ich, Niko geworden sein – allerdings versichert uns Jihan, daß sie es wüßte, wenn dergleichen passiert wäre.«
»Ah«, murmelte der Prinz und nickte. »Und die Sturmkinder – sie werden bleiben, wie sie sind, bis sie entweder ganz tot ist oder ganz lebt, verstehe ich das richtig?«
»Das ist eine etwas drastische Weise, die Überlegungen einer ganzen Woche zusammenzufassen – aber ich glaube, daß Ihr dem Kern der Sache ziemlich nahe gekommen seid.«
»Und wir wollen nicht, daß unsere Besucher aus der Hauptstadt von ihr oder den Sturmkindern
Weitere Kostenlose Bücher