Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
hatte sie noch unsicherer gemacht.
Ja, und dann passierte etwas, als sie von der Kirche in den! Hochzeitshof geritten kamen. Den Weg säumten die Bewohner! von Dorf und Hof, für die das Fest in der Scheune stattfand und die später an den Festlichkeiten auf dem Gut teilnehmen sollten.
Are hatte die Scheune geschmückt, zusammen mit den Mägden, und das war ihnen außerordentlich gut gelungen! Der Ritt von der Kirche ging ungestüm vonstatten, wie es auch Brauch war. Das Pferd der Braut sollte unter Gewehrschüssen und wilden Rufen davonstieben, damit die Braut Trollen und bösen Geistern entkam, die ihr am letzten Tag, an dem sie Jungfrau war, nicht noch etwas anhaben konnten. Liv jedoch war eine gute Reiterin, und sie kam wohlbehalten zu Hause an.
Dort draußen auf dem Gut mußte sie eine große Schale mit Bier in Empfang nehmen, die sie in einem Zug leeren mußte, während alle zusahen. Danach mußte die Schale über das Hausdach geworfen werden. Kam die Schale übers Dach, war das ein Zeichen für eine gute Ehe. Die Schale aber entglitt Liv, traf nur kurz auf das Dach auf und rollte auf derselben Seite wieder herunter.
Auch wenn alle bemüht waren, es mit Scherzen zu übergehen, verzweifelte Liv dennoch über diesen Vorfall.
Doch es dauerte nicht lange, bis alle dieses »Mißgeschick« vergessen hatten. Es wurde eine Hochzeitsfeier großen Stils, die die drei vorgeschriebenen Tage andauerte und von der die Leute lange sprachen.
Erst als sie allein in dem großen Haus in Oslo waren, wurde es Liv klar, wie endgültig die Hochzeit war. Ihre Kindheit bei Tengel und Silje war vorüber, nun würde sie nur noch als Gast nach Lindenallee und Grästensholm zurückkehren. Das bereitete ihr ein nagendes Gefühl von Wehmut, das sie nur schwer verbergen konnte.
Aber wieder tröstete sie sich damit, daß wohl alle Bräute so empfanden.
Ganz allein waren sie in dem großen Haus allerdings nicht. Laurents' Mutter wohnte auch bei ihnen im Haus. Sie hatte selbstredend an der Hochzeit teilgenommen, doch sie hatte die Zeit kaum einen Ton von sich gegeben. Es war, als hätte sie nur darauf gelauert, etwas zu entdecken, was sie kritisieren konnte - ohne etwas zu finden. Doch, ein Wort allerdings hatte Liv sie vor sich hinmurmeln gehört, das Wort Verschwendung!
Liv jedoch war überzeugt davon, wenn die Hochzeit nicht so prächtig ausgefallen wäre, daß sie sich dann über Geiz und Armut beschwert hätte.
Laurents hatte sie auf dem Brauthof nicht anrühren wollen, wollte damit warten, bis sie ganz allein sein würden. »Ich kenne sie, diese aalglatten Personen, die wie aus Versehen ins Schlafzimmer des Brautpaares stürmen«, sagte er. »Niemand darf unsere erste Nacht besudeln, Liv.«
Statt dessen hatte er neben ihr gelegen und sie im Schein des Talglichtes angesehen und zärtlich gestreichelt, sie ganz, ganz vorsichtig geküßt, bis sie in allen Ehren eingeschlafen waren.
Nun aber waren sie in dem Haus eingetroffen, in dem sie zukünftig die Hausherrin sein sollte.
Behutsam legte Liv das Brautkleid zusammen, oder besser gesagt das »Frauenkleid«, das sie am Morgen nach der Trauung angezogen hatte. Von nun an mußte sie immer ein Kopftuch tragen, als Zeichen dafür, daß sie eine verheiratete Frau war. Sie lächelte ein wenig in sich hinein. Silje hatte sich immer geweigert, ein Kopftuch zu tragen, und Tengel hatte sie darin unterstützt. Deshalb hatten sie viele Vorwürfe zu hören bekommen, doch die beiden waren so stark, daß es für sie nicht schwer war, sich über das Gerede der Leute hinwegzusetzen.
In ihrem Schlafzimmer war es dunkel, nur ein Talglicht brannte in einer Ecke. Wie sonderbar es war, mit Laurents hier allein zu sein! Mit einem Mal war es, als würde sie ihn gar nicht kennen. Angst ergriff sie.
Aber so etwas durfte sie nicht denken! Nicht jetzt! Sie mochte ihn doch so sehr. Ein so reifer Mann - wie elegant er war, als er dastand und sich im Halbdunkel die breitschultrige Weste auszog.
Sie mußte ihm all die Liebe geben, die er verdiente. »Männer haben auch das Bedürfnis nach Liebe«, hatte die Mutter sie ermahnt. »Sie müssen fühlen, daß sie geliebt werden. Gib aus ganzem Herzen, mein Kind! Das, glaube ich, ist das Geheimnis Tengels und meines Glücks. Wir sind vollkommen offen für einander, trauen uns, einander zu zeigen, wieviel wir für einander empfinden.«
Doch, Laurents verdiente all ihre Liebe, dachte Liv bei sich. Zu Hause auf Lindenallee lagen Tengel und Silje im Bett und starrten
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