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Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame

Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame

Titel: Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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hatte einen beängstigenden Ausdruck in den Augen. Sie wirkten so brennend, so gequält und gepeinigt von unbekannten Erlebnissen, völlig abwesend.
    Seine Kleider waren zerschlissen, das Halstuch nicht länger so weiß wie es sein sollte, das Stiefelleder war voller Risse, und über dem kurzen, abgetragenen Umhang, den er an den Schultern befestigt hatte, lag eine dicke Staubschicht. Aber nie war ihr jemand so männlich erschienen. Ein fremder, wehmütiger Mann war in ihr Haus und in ihr Leben getreten. Sie erschauerte vor Angst. »Willkommen zu Hause«, sie lächelte zitternd. »Danke.« Seine Stimme war auch tiefer geworden. »Komm in den Salon!«
    Sie ging voraus, hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. »Onkel Gabriel hat mir… uns dieses Haus beschafft«, bemerkte sie unbeholfen. »Sieht gut aus.«
    Er sah seine Ehefrau an. Kein Gefühl regte sich in ihm für dieses verfeinerte Wesen mit den gewölbten Augenlidern über tiefsitzenden Augen. Ganz so dünn wie früher war sie wohl nicht mehr, aber äußert gepflegt und sorgfältig gekleidet. Verzweiflung erfaßte sein Herz. Soll ich hier auf Erden denn immer, immer einsam sein? durchzuckte es ihn.
    Das war eines der Dinge, die Mikael zu schaffen machten und sich ihm jetzt in vollem Umfang offenbarte. Seine Einsamkeit war unermeßlich. Unheilbar - weil er unteren anderen Menschen ein Fremder war. Besonders hier, in seinem eigenen Haus.
    Um ihre Verlegenheit zu überbrücken, bückte Anette sich nieder und streichelte den Hund. Sie schien Tiere wirklich zu mögen. Das mußte er ihr zugute halten. Eine Weile sprachen sie verkrampft über den kleinen Troll, er erzählte ihr, wie allein der gewesen war und wie er ihn den ganzen Weg durch Livland und Polen, über die Ostsee und durch Schweden mitgeschleppt hatte.
    »Haben die ihn wirklich getreten?« fragte sie schockiert. »Ja. Kann er hierbleiben?«
    »Aber natürlich! Außerdem brauchst du doch nicht zu fragen, es ist ja dein Haus.« Ach, das Gefühl hatte er nun gar nicht.
    Sie erhob sich wieder aus der Hocke. Ein Lächeln hatte sich während des Gesprächs über den Hund in ihrem Gesicht ausgebreitet.
    »Ist der Krieg zu Ende?« fragte sie.
    »Nein. Man hat mich nach Hause geschickt.« Ihr Lächeln erlosch. »Du bist doch nicht krank?« »Nicht körperlich.«
    Anette schauderte. Seelisch krank? Er doch hoffentlich nicht?
    Mikael verstand ihre Angst. »Ich war zu lange im Feld gewesen und… hatte einen Zusammenbruch. Es ist besser, du erfährst es gleich.«
    Sie nickte und schluckte. »Du siehst sehr müde aus.« »Ja, ich muß mich ausruhen.« »Natürlich, das sollst du auch.«
    Er sah, wie verwirrt sie war. Wie sollte sie ihn, einen kranken Fremden, in diesem kleinen Haus beherbergen können?
    Plötzlich drehte sie sich um. »Aber du hast ja noch gar nicht…«
    »Dominic!« rief sie die Treppe hinauf. »Komm herunter!«
    Er bemerkte den weichen, liebevollen Klang in ihrer Stimme. Aber auch eine leichte Angst. Warum? Wovor hatte sie Angst?
    Auf der Treppe waren kleine schnelle Schritte zu hören. Ein vierjähriger Knirps blieb halb auf der Treppe stehen und sah den Fremden an.
    »Das ist dein… Vater, Dominic.« Es fiel Anette schwer, dieses Wort herauszubringen.
    Und da verstand er den Tonfall ihrer Stimme. Sie liebte das Kind. Jetzt hatte sie Angst, es zu verlieren. Dieses Kind mußte man aber auch lieben. Mit einem weichen, halb fragenden Lächeln sah es Mikael entgegen.
    Dunkle, lockige Haare mit einem Kupferschimmer. Ebene Gesichtszüge, Kleider aus kostbarem Samt mit Goldstickerei…
    Unbewußt runzelte Mikael die Stirn. Diese Augen … ? Solche Augen hatte er noch nie gesehen! Sie schimmerten golden! Wie Bernstein!
    Das Lächeln des kleinen Jungen wurde unsicher, verständnislos. Mikael besann sich und ging zu ihm hin. »Hei, Dominic«, sagte er mit nicht ganz klarer Stimme. »Deine Mutter hat mir über dich geschrieben. Ich habe mich sehr darauf gefreut, dich zu kennenzulernen.« Der Junge kam die Treppe hinunter. Wohlerzogen streckte er die Hand aus und machte einen tiefen Diener. »Guten Tag, Vater!«
    Die Worte trafen Mikael wie eine Schwertspitze. Das Kind, für das er nie etwas gefühlt hatte, war zum Leben erwacht. Stand hier vor ihm. Ein fremdes Kind, sicherlich, aber es war da, zum Anfassen, und von jetzt an würde Mikael es in Gedanken immer vor sich sehen können. Es war nicht länger nur ein Wort, ein… schlechtes Gewissen.
    Nun kam es darauf an, ob Mikael zum Vater taugte oder

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