Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
nicht.
Ohne daß Anette eifersüchtig sein mußte, voller Furcht, daß er ihr die Liebe des Kindes stehlen würde. Und wie sollte er auch? Sie hatte ihm vier Jahre voraus. »Ich… habe einen kleinen Hund mitgebracht«, sagte Mikael unbeholfen. »Er ist sehr lieb. Möchtest du ihn ansehen?«
Während der Hund das Eis zum Schmelzen brachte, ging Anette eilig in die Küche, um ihrem Mann eine Mahlzeit richten zu lassen.
Sie war verwirrt, erschüttert. Meist über ihre eigenen Gedanken. Denn jetzt sah sie ein, daß sie im Stillen gewünscht hatte, Mikael werde weiter im Feld bleiben. Daß vielleicht sogar die Nachricht käme, er sei gefallen. Dann wäre sie frei - und könnte jemanden heiraten, den sie erst hätte lieben lernen können. Am liebsten würde sie mit dem geliebten Sohn alleine leben. Sie brauchten keinen Mann hier im Hause!
Als sie begriff, daß das ihr innigster Herzenswunsch war, setzte sie sich schockiert über sich selbst auf die Anrichte. Dort saß sie gegen die Wand gelehnt, bis der Schwindelanfall sich gelegt hatte.
Solche Gedanken verdiente Mikael nicht. Den Tod wünsche ich ihm nicht!
Aber ich kenne den Mann gar nicht, verteidigte sie sich. Vor fast fünf Jahren waren wir eine einzige Nacht zusammen. Zwei Kinder waren wir, völlig verstört darüber, einander aufgezwungen zu werden. Was verlangt man eigentlich von mir?
Sie nahm sich zusammen, ging weiter zur Küche, befahl, für den eben heimgekehrten Hausherrn eine ordentliche Mahlzeit herzurichten und versuchte, die Glückwünsche des Dienstmädchens mit einem Lächeln zu beantworten. Bevor sie den Salon wieder betreten konnte, mußte sie erst vor der Tür anhalten und einige Male tief Luft holen. Sie strich mit den Händen über ihr Kleid, um nicht vorhandene Falten zu glätten, und richtete ihr Haar.
Besonders schön war sie nicht, das wußte sie. Ihre Stärke waren Würde und Zartheit, die feingliedrige Gestalt und die großen, dunklen Augen.
So öffnete sie resolut die Tür und betrat den Salon mit einem verkrampften Lächeln auf den Lippen.
Dieses Lächeln erstarb augenblicklich, als sie Dominics Worte vernahm, der gerade mit Mikael vor dem völlig entzückten Hund auf den Knien lag.
»Ihr seid viel größer und schmutziger als Onkel Henri, Vater.«
Man Dieu, dachte Anette. Er darf doch Henri nicht erwähnen! Nicht jetzt!
»Es sieht so aus, als habt ihr einander schon kennengelernt«, sagte sie schnell. »Jetzt gibt es gleich etwas zu essen… wenn du dich dann waschen und umziehen möchtest, Mi-Mikael.
Ach, wie ungewohnt, seinen Namen auszusprechen! Obendrein war es schwierig, die schwedische Aussprache richtig zu lernen, mit Betonung auf der ersten Silbe und fast der gleichen Betonung auf den zwei anderen. Sie hätte lieber Mikell gesagt, Französin die sie war, oder am liebsten Michel.
Er erhob sich und stand da - überwältigend groß, männlich und ungezähmt.
Angesichts dieser Virilität fiel es Anette schwer, sich zu konzentrieren. »Und Dominic, du gehst dir auch die Hände waschen, wo du den Hund gestreichelt hast.« Der Junge gehorchte sofort.
»Ich habe keine anderen Kleider, Anette.« Mikael war ganz bedrückt.
»O! Ja, da… da weiß ich auch nicht. Hier gibt es auch keine. Wir müssen wohl welche besorgen. In Mörby gibt es… « Sie wußte nicht weiter. »Aber waschen werde ich mich«, rettete er sie aus der verzwickten Situation. »Wenn du erlaubst, daß ich in diesen Kleidern esse?« »Natürlich! Natürlich tu ich das.«
Sie lief wieder hinaus in die Küche und überließ es ihm, irgendwo eine Waschmöglichkeit zu finden.
Dominic half ihm dabei, und dann konnte man zu Tisch gehen. Daß der Junge bei Tisch den Hund fütterte, wurde von den Erwachsenen nicht kommentiert. Anette wagte es nicht, vor lauter Angst, Mikael könnte glauben, sie wolle den Hund vor die Tür setzen. Und er wollte nicht den ersten zarten Kontakt mit seinem Sohn aufs Spiel setzen.
Dominic war ein kluges kleines Wesen, das konnte man leicht sehen. Es störte Mikael etwas, daß Anette ihn so verhätschelte. Der Junge schien diese übertriebene Fürsorge jedoch gelassen hinzunehmen. Der Hund war für sie alle eine willkommene Ablenkung. Dominic lachte jubelnden, wenn der Hund ihm aus der Hand fraß. Jedesmal wenn Mikael aufsah, begegnete er dem forschenden Blick seines Sohnes. Diese gelben Augen! Wie… durchsichtig die waren! Nein, das war nicht das richtige Wort. Suchend! Das war es. Aber wonach?
Er war so müde, Mikael. Erst jetzt,
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