Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
ich Hunger!«
»Zu dieser Tageszeit? Alle sind schon ins Bett gegangen!« »Laß uns in die Küche gehen und uns selber etwas zu essen machen!« »Wir? Kommt nicht in Frage!« »Warum nicht?«
»Nein, also weißt du! Es gibt gewisse Prinzipien…« Er beugte sich über den Tisch, »Anette! Es gibt gewisse Prinzipien, die man einfach brechen muß. Aber du kannst wahrscheinlich gar nicht kochen. Was kannst du eigentlich?«
Er provozierte sie bewußt, nur, um sie jetzt besser kennenzulernen. Auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab, aber er fuhr fort: »Dann mach ich mir eben selbst etwas zu essen. Wäre nicht das erste Mal.« Anette erhob sich. »Selbstverständlich kann ich das. Zu Hause in Frankreich habe ich schließlich viel gelernt. Komm schon, irgend etwas werde ich schon hinkriegen. Glaube ich jedenfalls.«
Er lächelte. »Das würde mich freuen. Ich komme.«
Die Küche war das Reich der Köchin. Die Familie betrat sie meist nur, um Anordnungen zu erteilen.
Anette lachte, als sie die große Küche mit dem riesigen Ofen und den vielen Töpfen an der Wand betraten, und sah sich hilflos um.
»Ich weiß gar nicht wo was liegt«, sagte sie heiter und etwas beschämt. »Hier ist jedenfalls die Tür zur Speisekammer.«
Sie gingen zusammen hinein und standen in dem engen Raum ungewohnt dicht beieinander.
Dort drinnen roch es gut. Mikael hatte eine Kerze in der Hand.
»Zu essen gibt es jedenfalls genug«, sagte er. »Einen Korb mit Eiern…«
»Dann schneide ich etwas von dem Schinken hier ab und mache ein französisches Omelett.«
»Prima! Brot, Butter… und Käse. Das nehmen wir.« »Ich weiß wo das Bier steht. Das Feuer im Ofen ist wohl ausgegangen?«
»Sicher nicht. Unter der Asche ist noch Glut. Ich mach das schon.«
Nach einer Weile war der Küchentisch bedeckt mit Leckerbissen. Anette versuchte mit zweifelhaften Glück, ein Omelett wie in ihren Kindertagen herzustellen. Sie war ganz rot im Gesicht und hektisch wie nie zuvor. Mikael saß gedankenverloren beim Essen. »Wie gemütlich das ist, Anette. Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?«
Sie wurde ganz steif vor Schreck. »Es gehört sich nicht für die Herrschaft, sich… O Entschuldigung! Natürlich, es ist sehr gemütlich.«
»Ich habe mich nie als Herrschaft empfunden!« »Aber es ist so! Das darfst du nie vergessen!« »Meinst du? Vielleicht liegt da der Fehler?« »Welcher Fehler?«
»Ach, vergiß es! Kann ich noch Bier haben?«
Schuldbewußt schenkte sie ihm nach. »Was wohl die Diener sagen, wenn sie morgen die Unordnung hier sehen?« »Wir müssen natürlich alles aufräumen!«
»Aufräumen? Bist du verrückt, wir haben es doch nicht nötig«
Er legte seine Hand über ihre und drückte sie warnend. »Jetzt wird saubergemacht, verstanden? Und keine weiteren Dummheiten.«
»Dummheiten?« flüsterte sie ganz blaß um die Lippen und protestierte nicht mehr.
Schweigend und mit verkniffenem Mund räumte sie den Tisch ab und spülte das Geschirr. Das meiste mußte Mikael machen.
Sie waren fast fertig, als sie ihn verwundert ansah. Er war vollkommen still geworden, stand da und starrte mit toten Augen auf den leeren Tisch.
Mikael bemerkte Anette gar nicht. Er war wieder dort, in der trostlosen Leere mit den klagenden Stimmen. Aufs neue durchfuhr ihn eisiger Schreck. Ohne daß er etwas dagegen tun konnte, hatte er das tägliche Leben wieder verlassen. Das Unbekannte, das am Ende des Nebels durchschimmerte, war größer geworden, eine unheimliche Schwärze breitete sich über weite Teile des riesigen Raumes aus.
»Mikael!« rief in seiner Nähe eine erschreckte Stimme. »Mikael, was ist mit dir? So antworte doch!«
Schweiß lief ihm von der Stirn. Das Hemd klebte an seinem Körper. Eines Tages schluckt es mich. Dann ist alles zu Ende. Fürchte oder sehne ich mich? Beides, glaube ich. »Mikael!« So müde, so müde …
Doch, ich sehne mich, sehne mich nach dem langen Schlaf. »Mikael, so antworte doch! Ich hole Hilfe.«
Er schloß die Augen und atmete tief durch. Widerstandslos sank er auf die Knie und schlang seine Arme um die völlig versteinerte Anette. »Hilf mir, Anette. Großer Gott, hilf mir!« »Mikael, bist du verrückt geworden?«
»Ich kann nicht mehr, Anette. Ich versinke. Es passiert jetzt immer öfter.« »Öfter? So?«
»Ja. Dominic versteht es. Er weiß, wie es um mich steht.« »Aber… «
Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu trösten und dem Zwang, ihren Widerwillen zu zeigen, legte sie
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