Die Saga vom Eisvolk 09 - Der Einsame
nicht eher so, daß man gerne noch länger leben möchte? Sehen, was noch alles geschieht? Um es mit Ares Worten zu sagen, so sehne ich mich auch nach meinem Dag. Und allen meinen Lieben. Im Alter wird man unweigerlich einsam.«
Gedankenverloren blätterte Alexander in den Papieren auf dem Tisch. »Mikael hatte diese Einsamkeit von Anfang an.«
»Ja. Hoffentlich hat Mattias Erfolg. Für Mikael gibt es doch soviel, wofür es sich zu leben. Da kommt Hilde mit dem geheimen Schatz. Ich muß gehen und ihnen helfen. Wünsch uns Glück, Alexander!« »Von ganzem Herzen!«
Er sah ihr nach, bis sie in Mikaels Zimmer verschwunden war. Die anderen waren bei Are und bereiteten die Totenwache vor. Nur Brand drückte seine Trauer auf eine andere Weise aus. Er war in die Allee gegangen und zerhackte die umstürzte Linde. Alexander ging zu ihm. Eine noch, dachte er. Von den acht Linden, die Tengel besprochen hatte, war noch eine übrig.
Inständig bat er darum, daß diese eine noch lange stehen würde. Niemand in der Familie konnte Liv entbehren. Am wenigsten Alexanders Frau Cecilie. Er wußte wohl, daß sie sich ständig Sorgen um die Gesundheit ihrer Mutter machte. Dazu kam auch die große Entfernung. Deshalb besuchten sie die Familie hier in Norwegen auch so oft wie möglich - nicht nur bei so tragischen Ereignissen wie diesem.
Der Tod ihres Bruders Tarald hatte Cecilie sehr getroffen. Wie sehr wußte nur Alexander. Äußerlich ließ sie es sich nicht so sehr anmerken.
Keiner hatte gewagt, dem alten Are von Taralds Tod zu berichten. Er wußte nicht, daß Tarald seinen Rettungsversuch nicht überlebt hatte. Are würde diesen Unfall nicht überleben - sollten sie ihm da noch weitere Sorgen bereiten? Bestell Tarald Grüße und meinen Dank, hatte der Alte gesagt. Er liege verletzt auf Grästensholm, hatten sie ihm erzählt. Are war von ihnen gegangen, ohne zu wissen, daß der Sohn seiner Schwester seinetwegen gestorben war. Und ohne zu wissen, daß sein geliebter Enkel Mikael sich entschieden hatte, gemeinsam mit dem Großvater das Leben zu verlassen.
Are war glücklich gestorben. Aber Liv hat diesen großen Kummer nicht verdient, dachte Alexander.
Anscheinend aber war sie stolz darauf, daß ihr Sohn seinen Onkel zu retten versucht hatte. Tarald war nie ein großer Held gewesen, sein Leben hatte fast nur aus Mittelmäßigkeit bestanden. Erst in seiner letzten Stunde war ihm eine große Tat gelungen.
Brand beauftragte den Markgrafen Alexander Paladin mit dem Wegräumen der Äste. Alexander hatte nichts dagegen, vertrieb die harte Arbeit doch seine düsteren Gedanken.
In Mikaels Zimmer kippten sie den ganzen Inhalt des großen Sacks auf den Tisch, alle mit nervösen, hektischen Bewegen. Es war keine Zeit zu verlieren.
»Du meine Güte«, murmelte Cecilie. »Wie sollen wir da Ordnung hineinbringen?«
»Hier sind die Formeln«, antwortete Mattias. »Ich habe früher schon mal versucht, sie zu entziffern, aber weit bin ich damit nicht gekommen.«
»Aber ich habe sie manchmal mit meinem Vater zusammen studiert«, sagte Liv. »Und Sol hat viel darüber gesprochen. An einiges erinnere ich mich noch.« Von Cecilie kam ein nervöses, recht unpassendes Gekicher. »Haben sie so etwas auch aufbewahrt? Da ist aber nicht mehr viel Kraft drin!«
»Aber Cecilie«, wies ihre Mutter sie zurecht. »Der gehörte einst einem gehenkten Mörder. Stammt aus Hannas Sammlung, hat Sol mir erzählt.« »Wofür soll der den gut sein?«
»Fruchtbarkeit. Den brauchen wir jetzt nicht. Leg das scheußliche Ding wieder weg. Und starr es nicht so fasziniert an, du schamloses Mädchen!«
Cecilies war so entsetzt über Mikaels Schicksal, daß sie sich Luft hatte machen müssen. Jetzt nahm sie sich zusammen.
»Gegengift brauchen wir. Aber wenn wir es finden, wie sollen wir es ihm einflößen?«
Hinter ihnen begann Niklas zu jammern, wie um sich zu entschuldigen. »Mir werden die Arme ganz lahm.« »Halte noch etwas aus«, bat Liv ihn. »Du bist ein tüchtiger Junge, und wir werden auch bald etwas finden.« Eifrig machte Mattias sich an den vielen Hilfsmitteln zu schaffen. »Ich weiß, daß es etwas gibt…«
Liv sagte: »Hanna und Sol hatten ihre eigenen Methoden. Reine Hexerei, mit Schlangenblut und Asche von irgendwelchen Wesen. Aber so etwas brauchen wir jetzt nicht.«
»So eine kleine Beschwörung würde jetzt nicht schaden«, murmelte Cecilie.
»Das wollen wir gar nicht erst anfangen«, sagte Liv schneidend. »Sol konnte so etwas, die konnte
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