Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
aus Licht und Schatten.
Vor Millionen funkelnder Sterne glitt ein riesiger Schatten lautlos über das schlafende Land. Einen weiten Bogen fliegend ließ sich der felsgraue Vogel von der warmen Luft über den Feldern noch höher hinauftragen. Die Aussicht war einmalig. Weit in der Ferne, dort, wo die Sonne am Ende des Tages den Horizont berührte, sah er das breite Band des Junktun wie geschmolzenes Silber im Mondlicht glänzen. Er bedauerte, dass die Luft an diesem Abend mit Feuchtigkeit so voll gesogen war, denn sonst hätte er weit hinter dem Fluss die majestätische Silhouette seiner Heimat, des Ylmazur-Gebirgsmassivs, erkennen können. Sein Blick wanderte weiter in die Richtung, wo die ersten Sonnenstrahlen am Morgen die Dunkelheit vertrieben. Hier erhob sich die mächtige Gebirgskette der Valdor-Berge, von deren höchstem Gipfel das rote Auge des Herrschers über Thale wachte. Irgendwo im grauen Dunst unterhalb der schneebedeckten Gipfel lag die gewaltige Festungsstadt Nimrod. Vor vielen Sommern war die prächtige Festung am Fuße der Berge Sitz des mächtigen Druidenrates von Thale gewesen. Doch seit der Herrscher der Finsternis die Stadt erobert und sie zum Ausgangspunkt seiner Schreckensherrschaft gemacht hatte, schwand ihre Schönheit zusehends dahin und der einstige Stolz des Landes verfiel immer schneller.
Viele schmerzliche Erinnerungen waren für den großen Vogel mit der Festungsstadt verbunden und er hatte es stets vermieden, bei seinen nächtlichen Ausflügen diese Richtung einzuschlagen. Doch in dieser Nacht würde er wagen, wozu ihm bisher der Mut fehlte. Diesmal führte ihn sein Weg dem roten Auge entgegen.
Wie von selbst wanderten die Gedanken des großen Vogels zurück. In eine bessere Zeit, als die Finsternis das Land Thale noch nicht beherrschte. Damals bestand ein enges Band der Freundschaft zwischen den weisen, mächtigen Druiden von Thale und den klugen, langlebigen Vögeln, die sie in ihrer Sprache Riesenalpe nannten. Fast alle der großen Vögel hatten für diese Freundschaft ihr Leben gelassen, als sie versucht hatten, den von der Finsternis bedrohten Druiden in Nimrod zu Hilfe zu eilen. Doch auch die riesigen Vögel mit ihren unerschöpflich anmutenden Kräften hatten den Druiden in ihrem aussichtslosen Kampf gegen das gewaltige Heer An-Rukhbars nicht helfen können.
Damals war er noch ein Jungvogel gewesen. Eben dem Nest entflogen, hatten ihn die Ältesten seiner Kolonie für zu unerfahren gehalten, um mitzukämpfen, und ihm befohlen in den sicheren Höhlen zu bleiben. Trotzdem war er ihnen heimlich gefolgt. Das grauenhafte Sterben seiner Brüder und Schwestern, das er daraufhin mit ansehen musste, würde er niemals vergessen können. Und selbst die vielen Jahreszeiten der Einsamkeit hatten Trauer und Schmerz in ihm nicht mildern können.
Nach dem Sieg der Finsternis und dem Tod seiner Artgenossen hatte er sich allein und verängstigt auf den Himmelsturm, den höchsten Berg des Ylmazur-Gebirges, geflüchtet. Dort hoffte er, der gnadenlosen Verfolgung durch An-Rukhbar entgehen zu können. Erst viele Winter später, als die Einsamkeit für ihn unerträglich wurde, hatte er sich wieder hervorgewagt und begonnen, nach Überlebenden seines Volkes Ausschau zu halten.
Viele Sommer lang dauerte seine Suche, und die Furcht, entdeckt zu werden, war sein ständiger Begleiter. Doch sosehr er sich auch bemühte, er fand keinen anderen Riesenalp mehr.
Eines Nachts war er erschöpft und mutlos in seine Höhle zurückgekehrt. In seinem Herzen trug er die traurige Gewissheit, der letzte lebende Riesenalp zu sein. Sein Lebensmut hatte ihn verlassen. Er konnte keine Nahrung mehr zu sich nehmen und sehnte sich danach, dass der Tod ihn endlich aus seiner Einsamkeit befreie und ihn mit seinen verlorenen Brüdern und Schwestern vereine.
Da erschien ihm im Traum plötzlich ein wunderschönes Mädchen mit feuerroten Haaren. Mit ihren großen, braunen Augen blickte sie ihn flehend an. Ihr Mund bewegte sich und schien eine dringende Bitte an ihn zu richten, doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte ihre Worte nicht verstehen.
Von da an träumte er in jeder Nacht denselben Traum und glaubte zunächst, seine vom Hunger gemarterten Sinne spielten ihm einen Streich. Aber der seltsame Traum hatte sein Interesse geweckt und er begann zögernd wieder zu essen. Daraufhin verschwand der Hunger, doch der Traum kam immer wieder.
Eines Nachts konnte er seine Tatenlosigkeit nicht mehr ertragen und begann nach dem
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