Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
ihnen eine weiße Wand mit rasender Geschwindigkeit näherte. Die ungeheure Wucht der entfesselten Schneemassen wurde von einer Wolke aus feinem Pulverschnee verdeckt, die der herandonnernden Lawine vorauseilte.
Als die Krieger die Gefahr erkannten, blieb ihnen nicht einmal mehr die Zeit zu schreien. Tonnenschwere Schneemassen wälzten sich den Abhang hinunter und ließen den Berg erzittern. Gnadenlos rissen sie alles mit sich, das ihnen im Weg war, und begruben die überraschten Krieger unter sich.
Wenige Augenblicke später war das Dröhnen verklungen und die Hänge lagen wieder weiß und unberührt in der Morgensonne. Nichts deutete darauf hin, dass hier gerade ein Dutzend Menschen ihr Leben gelassen hatten.
Der Riesenalp hockte nun wieder am schneebedeckten Eingang seiner Höhle. Zufrieden ließ er seinen Blick über den Abhang schweifen. Alles war wieder still und friedlich. Doch dann sah er ein winziges Stück roten Stoff einsam aus dem Schnee herausragen. Vermutlich gehörte es zu dem Umhang des Anführers der Gruppe, denn alle anderen Krieger hatten schwarze Umhänge getragen.
»Du musst den Krieger retten!«
Wer sprach da?
Verwundert blickte sich der Riesenalp um, konnte aber niemanden entdecken. Die Stimme kam ihm entfernt bekannt vor, so, als hätte er sie vor langer Zeit schon einmal gehört.
»Rette ihn! Schnell! Sonst wird er ersticken.« Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Es war dieselbe Stimme, die damals in seinen Träumen zu ihm gesprochen hatte.
»Bankivahr, rette ihn!« Die Stimme gab nicht auf. Woher kannte sie seinen Namen?
»Erhebe dich, im Namen der Göttin, und rette den Krieger! Schnell, sonst ist es zu spät!«, drängte die Stimme.
Warum sollte er das tun? Sollte der Krieger ruhig ersticken. Schließlich gehörte auch er zu seinen Feinden, die gekommen waren, um ihn zu töten.
»Bankivahr!« Der Boden seiner Höhle erzitterte und eine weitere kleine Lawine suchte sich ihren Weg ins Tal, als die Stimme erneut seinen Namen aussprach.
Missmutig erhob sich der große Vogel. Er wollte den Krieger noch immer nicht retten, war aber klug genug, sich nicht mit unbekannten Mächten anzulegen.
Ungeschickt betrat er den losen Schnee und rutschte mehr, als dass er den steilen Hang hinunterschritt. Sein Flügel schmerzte höllisch, aber er versuchte nicht darauf zu achten. Zum Glück war es nicht sehr weit. Der bewusstlose Krieger war mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. Vorsichtig entfernte der Riesenalp den Schnee mit seinem Schnabel und zog den Krieger darunter hervor. Dann packte er ihn und machte sich daran, mit seiner Last zur Höhle zurückzukehren. Der Aufstieg gestaltete sich jedoch weitaus schwieriger als der Abstieg. Immer wieder gab der Schnee unter dem Gewicht des Riesenalps nach und ließ ihn straucheln. Mühsam kämpfte er sich Länge um Länge nach oben und ärgerte sich insgeheim über seine Nachgiebigkeit.
Hätte er den Krieger doch bloß im Schnee gelassen. Jetzt war er gezwungen, seine Höhle bis zum Ende des Winters mit einem der verhassten Krieger An-Rukhbars zu teilen. Mit einem Feind!
Der Riesenalp zischte wütend. Wieder hatte er sich von der seltsamen Stimme zu etwas verleiten lassen, dessen Folgen er nicht abschätzen konnte. Aber diesmal würde er schlauer sein. Sobald er wieder fliegen konnte, wollte er seinen ungebetenen Gast weit fort bringen und ihn irgendwo in der Nähe eines Dorfes absetzen.
»Dieser verdammte Schnee.« Ärgerlich klopfte Asco-Bahrran die Schneeflocken von seinem dicken Pelzmantel, als er das Arbeitszimmer des Sequestors betrat. Ohne den Mantel abzulegen durchquerte er den Raum, zog sich einen Stuhl vor den Kamin und hielt seine kalten Finger den wärmenden Flammen entgegen.
Der Sequestor legte die Schriftrolle, in der er gerade gelesen hatte, aus den Händen und sah stirnrunzelnd auf die feuchte Spur, die der Magier auf dem Boden hinterlassen hatte. Auch er trug einen pelzgefütterten Mantel und Handschuhe, denn obwohl das Feuer in dem Kamin Tag und Nacht brannte, war es nicht möglich, den großen Raum zu erwärmen.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte er mitfühlend und deutete auf die Schriftrolle. »Wenn es nicht bald wärmer wird, werde ich auch in der Festung die Nahrungsmittel rationieren müssen. Unsere Lager sind so gut wie leer.«
Asco-Bahrran schien ihm nicht zuzuhören. Statt einer Antwort starrte er schweigend in die Flammen. Dann stand er plötzlich auf, ging zum Fenster und kratzte mit seiner Hand ein
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