Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
Ausrede, in der Hoffnung, einer Bestrafung zu entgehen, aber…«
»Vater!« Vhait fiel ihm ins Wort. Trotz der Unterstellungen bemühte er sich um einen ruhigen Tonfall. »Ich habe das Tier selbst gesehen. Glaub mir, dieser Vogel ist keine Einbildung betrunkener Krieger, er war wirklich da!«
Tarek seufzte. Sichtlich erregt trat er ans Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus.
»Mein Sohn«, begann er und Vhait spürte, wie sehr er sich dabei zur Ruhe zwingen musste. »Auch wenn ich dich mehr liebe als alle anderen Söhne, die ich gezeugt habe, kann ich dir nicht glauben. Nach deiner Beschreibung kann es sich bei dem Vogel nur um einen Riesenalp handeln. Aber diese Vögel haben wir schon vor mehr als fünfundzwanzig Sommern ausgerottet. Sie sind alle tot. Seit dem Fall Nimrods wurde kein Riesenalp mehr gesehen.«
Bei diesen Worten hielt es auch Vhait nicht mehr auf seinem Platz. »Er war ebenso lebendig wie ich, Vater«, beharrte er. »Und er hat getötet! Wenn Kerym hier wäre, könnte er meine Worte bezeugen.«
»So, und wo ist dieser Kerym?«, wollte Tarek wissen.
»Seine Eltern haben ein Gasthaus. Es liegt einen halben Tagesritt von Nimrod entfernt an der Straße nach Daran«, erklärte Vhait. »Dort haben sich unsere Wege gegen Mittag getrennt, denn der Oberbefehlshaber von Daran hat Kerym einen Kurierdienst übertragen. Vermutlich befindet er sich jetzt schon auf dem Weg zur Grasland-Division.«
»Deshalb können wir ihn leider nicht fragen«, fügte Tarek hinzu.
»Bei den Toren! Ich sage die Wahrheit!« Eindringlich sah Vhait seinen Vater an. »Gib mir ein paar Krieger, dann werde ich es dir beweisen. Ich werde das Ungeheuer finden und töten.«
»Nein!«
»Es war ein Riesenalp, Vater. So wahr ich hier stehe.« Vhait ließ sich nicht beirren. Seine Augen funkelten leidenschaftlich. »Ich werde es beweisen. Ich werde dieses Untier finden und töten. – Wenn es sein muss, auch ohne deine Erlaubnis.«
Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er sich um und stürmte aus dem Zimmer.
Als Tarek am nächsten Morgen die Nachricht erhielt, dass sein Sohn Nimrod mit zehn Männern verlassen hatte, wunderte er sich nicht. Wenn ich jung wäre, würde ich genauso handeln, dachte er nicht ohne Stolz. Vhait ist eben ganz mein Sohn.
5
Es wurde ein langer und harter Winter. Auch zwei Mondläufe nach der Wintersonnenwende hielt er das Land noch immer fest im Griff. Mannshoher Schnee machte die Straßen unpassierbar und der klirrende Frost ließ die Menschen auch tagsüber in ihren Häusern bleiben. Nahrung und Brennholz wurden knapp. Hungernde Wölfe strichen des Nachts durch die menschenleeren Straßen von Daran und schreckten nicht einmal davor zurück, einen Menschen anzufallen.
Naemy hörte ihr lang gezogenes Heulen und seufzte.
Sie hatte nie vorgehabt, so lange bei Mino-They zu bleiben, doch der Schnee und die bittere Kälte hatten sie gezwungen, ihre Pläne zu ändern. Inzwischen hielt sie sich schon mehr als vier Mondläufe bei der Heilerin auf und wurde mit jedem Tag ungeduldiger.
Nachdenklich sah Naemy zu Sunnivah hinüber, die auf ihrem Lager neben dem Feuer eingeschlafen war. Sunnivahs Ausbildung war abgeschlossen. Es gab nichts mehr, das sie ihr noch beibringen konnte. Das Mädchen war jetzt mühelos dazu in der Lage, sich der Gedankensprache zu bedienen. Dafür hatte sie gesorgt. Sorgfältig hatte sie Sunnivahs angeborene Gabe an den langen Winterabenden geschult, auch wenn Sunnivah häufig lieber etwas anderes gemacht hätte.
Zusätzlich unterrichtete die Nebelelfe Sunnivah im Kre-An-Sor, einer waffenlosen Kampftechnik der Elfen. Hier war Sunnivah eine aufmerksame Schülerin, denn die Aussicht, sich jederzeit gegen Angreifer wehren zu können, begeisterte sie von Anfang an. Selbst die vielen schmerzhaften Stürze konnten nichts daran ändern. Sie lernte schnell und mit großem Eifer. Inzwischen musste selbst Naemy neidlos zugeben, dass Sunnivah ihr mit ihrem Können in nichts mehr nachstand.
Wieder heulte ein Wolf. Diesmal sehr viel näher.
Naemy sah aus dem Fenster. Ein grauer Schatten schlich im Mondlicht zwischen den hoch aufgetürmten Schneehaufen neben der Straße. Ein Wolf! Plötzlich hob er den Kopf und sah zu ihr herüber. Langsam kam er näher, blieb vor dem kleinen Fenster stehen und musterte die Nebelelfe mit einem langen Blick aus seinen funkelnden Augen. Naemy hatte das sonderbare Gefühl, dass der Wolf ihr etwas mitteilen wollte. Doch der Moment verstrich und nichts
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