Die Saga von Thale 02 - Die Macht des Elfenfeuers
die inmitten der Toten stand und ihren Durst in einer blutigen Pfütze stillte.
»Kiany! Kiany, komm zu dir!« Jemand strich ihr ganz sanft über die Wange.
»Manou?« Kiany blinzelte und versuchte die Augen zu öffnen. Wo war sie? Der harte Boden, auf dem sie lag, konnte unmöglich ihr Bett sein. Und ihr Gesicht war so kalt, dass sie sich nicht in ihrer warmen Kammer befinden konnte. »Manou, bist du es?«, fragte sie noch einmal.
»Manou ist nicht hier, Kiany«, hörte sie eine Frauenstimme sagen. Der Klang kam ihr irgendwie bekannt vor, doch ihr wollte einfach nicht einfallen, wem die Stimme gehörte. »Ich bin es. Naemy«, erklärte die Stimme geduldig.
Naemy! Der Riesenalp, der Flug, die Sterne die Vision! Plötzlich konnte sich Kiany wieder an alles erinnern. Sie riss die Augen auf und starrte die Nebelelfe an, die im Schein eines kleinen Lagerfeuers neben ihr kniete. »Naemy . . . Oh, Naemy . . . die Elfen « , stammelte sie und versuchte sich aufzurichten. »Die Elfen sind ... oh, bei der Göttin, Naemy, es war so schrecklich . .. « Bei dem Gedanken an die grauenhaften Bilder, die ihr die Vision gezeigt hatte, versagte Kiany die Stimme.
»Was ist mit ihnen?« Naemy runzelte besorgt die Stirn. Sie wusste, dass in Caira-Dan in dieser Nacht ein großes Fest gefeiert wurde, und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Kiany meinte. »Beruhige dich«, sagte sie und legte fürsorglich den Arm um Kiany, die heftig zitterte und geistesabwesend ins Feuer starrte. »Es ist nichts geschehen. Du bist ohnmächtig geworden, das ist alles. Wir sind sofort gelandet und Tabor hat ein Feuer entzündet. Er ist jetzt auf der Suche nach weiterem trockenen Holz. Du wirst sehen, wenn er ... «
»Sie sind alle tot«, hauchte Kiany, als hätte sie Naemys Worte gar nicht gehört. »Tot. . . alle tot.« Sie schluchzte und schlug die Hände vor das Gesicht. »Ich habe es gesehen, Naemy. Sie ... sie .. . « Kiany stockte und musste neue Kräfte sammeln, um weitersprechen zu können. »Sie lagen um ein großes Feuer herum . . . da war so viel Blut. . . überall ... und mittendrin stand ... stand eine riesige getigerte Raubkatze . . . die . . . die . . . « Jetzt versagte ihr endgültig die Stimme. Von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt, barg sie das Gesicht an der Schulter der Nebelelfe.
Naemy strich Kiany abwesend über das dunkle Haar, während sie über deren Worte nachdachte. Ein großes Feuer? Eine getigerte Raubkatze? Alle tot? Ihre Gedanken gefroren zu Eis.
»Nein«, flüsterte sie. »Nein!« Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Diesmal musste sich Kiany doch täuschen und die Nebelelfe betete verzweifelt, dass es so war. Von düsteren Vorahnungen geplagt, schloss sie die Augen und versuchte eine Gedankenverbindung zu Lya-Numi in Caira-Dan herzustellen. Die Elfenpriesterin antwortete nicht. Voller Sorge versuchte Naemy zwei andere Elfen zu erreichen vergeblich! Eine eisige Faust umklammerte plötzlich Naemys Herz, das wie wild zu schlagen begann. Aber noch wehrte sie sich mit aller Kraft gegen die schreckliche Wahrheit. Aufgebracht und zutiefst besorgt schob sie eine Hand unter Kianys Kinn, löste deren Kopf von ihrer Schulter und blickte sie ernst an. »Kiany«, sagte sie mit gepresster Stimme und war sorgsam darauf bedacht, sich ihre Beunruhigung auf gar keinen Fall anmerken zu lassen. »Kiany, sag mir jetzt bitte ganz genau: Was hast du gesehen ? «
Lya-Numi hörte die Zweige hinter sich knacken. Ihr Herz hämmerte wie wild und die kalte Luft brannte ihr in den Lungen. Arme und Gesicht der Elfenpriesterin waren von den Ästen und Stöcken des Unterholzes zerschnitten und aus drei tiefen Wunden am Oberschenkel, die ihr die Krallen eines Quarlins zugefügt hatten, sickerte Blut, das beim Laufen auf den Boden tropfte. Ungeachtet der Schmerzen rannte Lya-Numi weiter, wohl wissend, dass es keine Hoffnung für sie gab. Der riesige Quarlin hinter ihr folgte dem Geruch des frischen Blutes und bahnte sich mit seinen gewaltigen Pranken einen Weg durch das Dickicht der Sümpfe. Einmal kam er so dicht heran, dass sie seinen hechelnden Atem hörte, dann ließ er sich wieder ein wenig zurückfallen, als bereite es ihm Freude, die Nebelelfe in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Aber er war da. Das intelligente Tier schien um die nachlassenden Kräfte der Elfe zu wissen und folgte ihr in der Gewissheit, dass ihm seine Beute nicht entkommen konnte.
Am Rande des Zusammenbruchs kämpfte sich Lya-Numi voran. Jeder
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