Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
ausgehen werde.
»Ich muss!« Liebevoll strich die Mutter Paira über die Wange.
Ihre Stimme bebte, und in den Augenwinkeln schimmerten Tränen. »Dein Bruder ist dort draußen, und auch ich habe geschworen zu kämpfen, wenn man mich ruft.« Hastig wischte sie die Tränen fort und sagte mit erzwungener Zuversicht: »Nur wenn wir alle fest zusammenhalten, können wir diese Schlacht gewinnen. Die schwarzen Krieger wollen unsere Heimat zerstören und uns die Freiheit nehmen. Dagegen müssen wir uns mit aller Macht wehren. Ich bin keine Kriegerin, aber ich bin entschlossen, meinen Teil zur Verteidigung Nimrods beizutragen.« Sie brach ab und schloss Paira in die Arme. »Ich tue es für euch«, murmelte sie mit tränenerstickter Stimme. »Für Maite und für dich. Ihr seid so jung und habt das ganze Leben noch vor euch. Ich werde dafür kämpfen, dass auch ihr in Freiheit leben könnt.«
»Aber ich habe solche Angst um dich.« Wie ein verängstigtes Kind klammerte sich Paira an ihre Mutter. »Ist es nicht genug, dass Fedeon und Bevan ein ungewisses Schicksal erleiden? Bitte! Bitte geh nicht.«
»Paira!« Die Mutter strich zärtlich über das lange dunkle Haar ihrer älteren Tochter. »Diese Schlacht ist eine schwere Prüfung für uns alle und verlangt von vielen große Opfer. Nur wer in der Lage ist, die Furcht zu überwinden und über sich selbst hinauszuwachsen, wird am Ende bestehen. Du und ich, wir beide müssen jetzt stark und tapfer sein, um das, was von uns verlangt wird, zu bewältigen. Ich muss zum Tor, um den Männern dort zu helfen, doch dein Platz ist hier bei Maite. Sie ist noch zu klein, um für sich selbst zu sorgen. Sie braucht dich!« Mit einem ernsten, fast flehenden Blick legte sie ihrer Tochter die Hände auf die Schultern und schob sie so weit von sich, dass sie ihr in die Augen sehen konnte. »Versprich mir, dass du nicht von ihrer Seite weichen wirst«, verlangte sie in einem Tonfall, der leise anklingen ließ, dass auch sie um ihr Leben fürchtete. »Was auch geschieht, ihr bleibt zusammen! Versprich es mir, im Namen der Göttin!« Paira sah, wie ihre Mutter mit den Tränen kämpfte. Der Abschied von den Töchtern fiel ihr unsagbar schwer, doch Paira spürte auch, dass sie sich durch nichts davon abhalten lassen würde, ihre Pflicht zu tun.
»Ich verspreche es dir, Mutter!« Wie gern hätte sie in diesem Augenblick tapfer geklungen, wie gern ihrer Mutter das Gefühl vermittelt, dass sie stark genug war, um auf sich und Maite aufzupassen. Doch die Worte kamen ihr nur mühsam über die Lippen; sie musste sich zwingen, sie auszusprechen. Ihr war, als stürzte sie in ein bodenloses schwarzes Loch. Die Furcht schlug wie eine alles verschlingende Woge über ihr zusammen.
»Meine Gebete werden euch begleiten!« Ein letztes Mal schloss Pairas Mutter ihre Tochter in die Arme, presste sie an sich und küsste sie auf die Stirn, doch diesmal erwiderte Paira die Umarmung nicht. Eine seltsame, teilnahmslose Starre hatte von ihr Besitz ergriffen, die keine Gefühle zuließ. Sie spürte, dass es ein Abschied für immer war, doch sie flehte ihre Mutter nicht an zu bleiben. Stumm beobachtete sie, wie sich ihre Mutter zu Maite herabbeugte und der kleinen schlafenden Gestalt unter Tränen einen Kuss auf die Wange hauchte, bevor sie sich erhob und mit den Worten »Ich liebe euch« die Vorratskammer verließ.
Paira sah ihr schweigend nach und rührte sich nicht. Unfähig zu begreifen, dass die kleine heile Welt, in der sie gelebt hatte, binnen weniger Sonnenläufe zerstört worden war, kauerte sie sich auf den Boden und starrte in der Hoffnung, dass ihre Mutter es sich doch noch anders überlegte, auf den leeren Türrahmen. Aber die Dunkelheit dahinter blieb kalt und leer, und die Einsamkeit sickerte wie flüssiges Eis in Pairas Herz.
Die Zeit verrann, und während sich die Schlacht vor den Toren unausweichlich dem Höhepunkt näherte, schwebten Maites gleichmäßige Atemzüge wie die zerbrechliche Erinnerung an den Frieden durch die dunkle Vorratskammer. Immer lauter klirrten die Waffen, immer hektischer wurden Befehle gebrüllt, und immer öfter gellten die Schreie der Sterbenden durch die Nacht. Paira kauerte in derselben Haltung am Boden wie in jenem Augenblick, da ihre Mutter den Raum verlassen hatte. Unfähig, sich zu bewegen, harrte sie in der Dunkelheit aus, lauschte und wartete. Sie wusste weder, worauf noch warum sie wartete, aber sie fühlte die eigentümliche Stimmung in der Luft, spürte, dass bald
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