Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
ist gut. Rurik ist bei ihm. Ich höre, wie er zu Letivahr spricht und ihn anfeuert, noch ein wenig durchzuhalten. Rurik ist ein guter Mann. Wenn sie es zu den Höhlen schaffen, wird er sich um die Wunden kümmern.« Die verzerrten Gesichtszüge des Elfen entspannten sich ein wenig, doch die Trauer und der Schmerz über das grausame Schicksal der geliebten Vögel hatten ihn unbarmherzig im Griff. Als könnte sie ihm den Trost geben, den er so dringend benötigte, schloss er Naemys Hand in die seine und hielt sie fest.
»Sag mir: Wird er überleben? Wird er es schaffen?« Sein hoffnungsvoller Blick machte Naemy die Antwort schwer.
»Es gab Überlebende unter den Riesenalpen«, antwortete sie ausweichend. »Man sagte, eine kleine Gruppe verwundeter Vögel habe die Schlacht überstanden. Doch An-Rukhbar ließ sie nicht entkommen. Nur einen Mondlauf, nachdem er Nimrod eroberte, hatte er die Riesenalpe ausgerottet.« Bis auf einen, fügte sie in Gedanken hinzu. Doch da sie wusste, dass es sich bei diesem Riesenalp nicht um Letivahr handelte, behielt sie es lieber für sich.
»Dann ist auch er verloren.« Niedergeschlagen senkte Glamouron den Blick und murmelte:
»Können wir denn gar nichts tun?«
»Vergiss nicht, Glamouron: Was du dort unten siehst, ist längst Geschichte.« Mit der freien Hand deutete Naemy auf das Schlachtfeld vor den Toren Nimrods. »Wir können nur zusehen, nicht eingreifen.«
»Aber das ist grausam«, warf Shari ein. »All die Toten und das viele Leid. Das ist. . . «
» ... der Preis für dein Leben«, mahnte Naemy. »Vergiss das nie.«
»Was glaubt ihr? Werden die Tore standhalten?« Fedeon, der bis zu diesem Augenblick unermüdlich geschrieben hatte, legte Feder und Pergament beiseite und kroch auf den Knien zu den drei Nebelelfen an den vordersten Rand des Felsvorsprungs. Der junge Skalde war inzwischen der festen Überzeugung, dass ihn der oberste Druide zusammen mit den Elfen in die Berge geschickt hatte, um den Angriff auf Nimrod von dort aus in allen Einzelheiten für die Nachwelt aufzuzeichnen, und hatte die vermeintliche Aufgabe bisher gewissenhaft erfüllt. Er war sicher gewesen, dass die schwarzen Krieger zurückgeschlagen werden konnten, doch angesichts des dramatischen Schlachtverlaufs geriet seine Überzeugung mehr und mehr ins Wanken. Die Sorge um jene, die er liebte, mischte sich mit heftigen Schuldgefühlen, weil er in der Stunde der Not nicht an ihrer Seite war, und wurde schließlich so unerträglich, dass er nicht mehr weiterschreiben konnte.
»Die Tore werden doch halten?«, fragte er noch einmal und warf einen besorgten Blick auf das dunkle Meer wogender Leiber, die sich in einiger Entfernung vor dem großen Flügeltor der Festungsstadt formierten. »Das Holz ist so stark und dick, dass es niemals . ..«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick zerbarst das große Flügeltor mit einem gewaltigen Donnerschlag und öffnete den schwarzen Kriegern den Weg ins Herz der Stadt.
»Wenn du hörst, dass die Kampfgeräusche näher kommen, gehst du mit deiner Schwester sofort in den Unterschlupf. Verstanden?« Pairas Mutter sprach so leise, dass Maite, die auf einem Strohlager neben Paira einzuschlafen versuchte, sie nicht hören konnte. Als die Schlacht bei Anbruch der Nacht begonnen hatte, war sie mit den Mädchen in den kleinen Vorratsraum gegangen, in dem sie den Unterschlupf für die beiden gebaut hatte, um dort den Ausgang der Schlacht abzuwarten. Doch die Nacht war vorangeschritten, und das Klirren der Waffen und Schreien der Verwundeten wollte kein Ende nehmen.
Kurz zuvor war ein Meldegänger an dem Schuppen vorbeigekommen, in dem sich die drei Frauen versteckten, und hatte alle, die zur letzten Reserve gehörten, dazu aufgerufen, sich am großen Tor zu versammeln, um die Truppen an der Festungsmauer zu unterstützen.
»Geh nicht, Mutter!« Die Angst vor dem, was kommen mochte, schnürte Paira die Kehle zu.
Obwohl man sich in Nimrod schon seit vielen Sonnenläufen auf die bevorstehende Schlacht vorbereitete, war es ihr bis zu diesem Abend nicht wirklich bewusst gewesen, in welcher Gefahr sie sich befanden. Krieg, Elend und Tod waren Worte, die für sie nie ein Gesicht gehabt hatten - Worte, die sie zwar aus Geschichten und Legenden kannte, die in ihrer Welt jedoch keinen Platz hatten. So hatte sie sich bis zum Schluss hartnäckig geweigert, den Tatsachen ins Auge zu sehen, und sich mit einer fast schon kindlichen Einfalt an den Wunsch geklammert, dass alles gut
Weitere Kostenlose Bücher