Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
verdeckt. Feuchtkalte Luft, die vom nahen Herbst kündete, hatte die milde Wärme des Spätsommers vertrieben, und ein auflebender Wind fegte durch die Wipfel der Christalltannen und Laubbäume, welche die Lichtung nahe dem großen Gießbach säumten.
»Es sieht nach Regen aus.« Glamouron schaute besorgt zum Himmel. Naemy antwortete nicht sofort. Unbeeindruckt von dem Wetterwechsel, setzte sie mit sicherer Hand die letzten Zeichen an das riesige Pentagramm, das sie mit Holzkohle auf eine große Felsplatte gezeichnet hatte, die sich wie ein riesiger Teller unmittelbar neben dem Gießbach aus der Erde erhob.
»Wenn wir hier weg sind, wäre ein kräftiger Regenschauer genau das Richtige«, sagte sie mit einem Blick auf ihr Werk. »Der würde die Spuren verwischen.«
»Dann sollten wir uns aber beeilen!« Glamouron deutete nach Westen, wo der Wind einen dichten Vorhang aus Regen über die Ebene vor der Festungsstadt schob. »Die Wolken kommen genau auf uns zu.«
»Es ist so weit, die erste Gruppe kann durch die Zwischenwelt gehen.« Naemy winkte die anderen Nebelelfen zu sich. »Ihr kennt das Ziel«, sagte sie, als sich alle Nebelelfen einschließlich Shari und Fedeon vor dem Pentagramm versammelt hatten. »Wir reisen wie besprochen durch die Zwischenwelt zu der großen kahlen Eiche am Fuße des Ylmazur-Gebirges. Ganz in der Nähe befindet sich der Bajun-Gletscher. Die meisten von euch kennen die Eiche. Sie bietet uns eine sichere Orientierung und liegt den Bergen so nahe wie keine andere Wegmarke. Das wird uns einen langen Fußmarsch ersparen.« Sie trat zur Seite und bedeutete Glamouron, das Pentagramm zu betreten. »Glamourons Gruppe geht als erste«, erklärte sie. »Dann kommen die anderen Gruppen, und ich bilde mit Bronadui den Abschluss.«
Kurze Zeit später war die Lichtung leer. Nur eine kalte Feuerstelle erinnerte noch daran, dass hier eine kleine Gruppe Nebelelfen Unterschlupf gefunden hatte.
Naemy führte Bronadui am Halfter in das Pentagramm und blickte sich ein letztes Mal prüfend um. Die Waffen und Ausrüstungsgegenstände, die sie mit Glamouron von den getöteten Kriegern des Spähtrupps geholt hatte, waren unter den Elfenkriegern verteilt worden, und die Vorräte waren gut verpackt in großen Bündeln auf dem Rücken des Pferdes verstaut. Alle Vorbereitungen, die sie für den schweren Weg über das Ylmazur-Gebirge hatten treffen können, waren getroffen - so kärglich sie auch sein mochten. Es gab nichts mehr zu tun.
Naemy seufzte erleichtert. Trotz aller Zweifel war sie so weit gekommen, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Ebenso erfreulich war die Einsichtigkeit der geretteten Elfen gewesen, als Naemy ihnen die schonungslose Wahrheit über den Grund für ihre Befreiung erzählt hatte. Die meisten waren zunächst wie erwartet voller Unglauben gewesen, doch Naemy und Glamouron, der ihr unerschütterlich zur Seite stand, hatten die Zweifel bald ausräumen können.
Nach und nach hatten sich alle zu ihr bekannt und geschworen, ihr bei dem Versuch zu folgen, das Ylmazur-Gebirge zu überqueren. Naemy lachte bitter. Gab es überhaupt eine Wahl? Sie hatten ihre Heimat verloren und wussten, dass überall in Thale Jagd auf die Nebelelfen gemacht wurde. Die meisten besaßen keine Angehörigen mehr, und die wenigen, die ihre Familien in Numark mittels Gedankensprache zu erreichen versucht hatten, hatten keine Antwort erhalten. Das Schweigen sagte mehr als alle Worte, und so hatten sich auch die Letzten trotz der großen Trauer um jene, die sie zurücklassen mussten, dem Plan angeschlossen.
Es war die einzige Möglichkeit zu überleben. Nur wenige würden den Schergen An-Rukhbars entkommen, und jenen, denen es vergönnt war, die friedlichen Zeiten nach der Befreiung Thaies zu erleben, drohte Naemys Bericht zufolge in dreihundert Sommern ein schreckliches Schicksal. Die Zukunft ihres Volkes hing allein von ihnen ab: von den achtzehn Elfenkriegerinnen und siebzehn Elfenkriegern, die sich hier auf der Lichtung versammelt hatten. Scheiterten sie, war das Schicksal des Nebelelfen-Volkes besiegelt.
Ein erster Regentropfen fiel auf Naemys Gesicht, lief ihr wie eine Träne über die Wange und erinnerte sie daran, dass die Regenfront bedrohlich nahe war. »Komm, Brauner. Es wird Zeit!« Naemy tätschelte Bronadui sanft den Hals. »Du brauchst keine Angst zu haben«, raunte sie ihm zu, »es wird nur ein wenig kalt und dunkel, dann hast du es geschafft.«
Und während die Regentropfen in immer schnellerer
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