Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
Hochgebirges, das zu überqueren bisher keinem gelungen war.
»Wir rasten hier!« Naemy hielt bei den letzten Bäumen an und ließ ihr Bündel und den Langbogen ins taufeuchte Gras gleiten. »Bis zum Abend werden wir keinen so geschützten Rastplatz mehr finden.«
»Ich denke nicht, dass wir hier in Gefahr sind.« Glamouron, der an ihrer Seite ging, betrachtete aufmerksam den Waldrand und ließ den Blick prüfend über die angrenzenden Wiesen schweifen.
»Ein kleines Rudel Rehe, ein Temelinadler, sonst nichts«, zählte er auf und lächelte zufrieden. »Die Cha-Gurrlinen können uns nicht mehr einholen. Nimrod ist viel zu weit entfernt. Außerdem haben sie keine Ahnung, wo wir sind.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Besorgt blickte Naemy zum Himmel hinauf, doch außer dem großen Greifvogel, der hoch über den Bergen seine Kreise zog, konnte auch sie nichts Ungewöhnliches entdecken. »Nun, wie auch immer«, seufzte sie und setzte sich ins Gras, »eine Rast tut uns allen gut. Der Aufstieg wird uns viel abverlangen, und ich weiß nicht, wie viele Sonnenläufe wir in den Bergen verbringen werden.« Sie gab sich große Mühe, zuversichtlich zu klingen, tief in ihrem Innern aber spürte sie eine große Unsicherheit. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich zu Fuß auf den Weg zum Bajün-Gletscher machte, doch im Gegensatz zu den Wanderungen, die sie mit Tabor unternommen hatte, waren die Voraussetzungen diesmal denkbar ungünstig. Genau genommen waren sie sogar so schlecht, dass es fast an Wahnsinn grenzte, den Aufstieg zu wagen. Keiner der Elfen war für eine solche Unternehmung richtig gekleidet. Die meisten trugen nur ein dünnes Untergewand aus weichem Gewebe und darüber die harte Lederkleidung, die ihnen im Fall eines Angriffs zwar gute Dienste leisten würde, sie aber kaum vor der Kälte schützte. Warme Decken waren zudem nur unzureichend vorhanden. Die wenigen, die sie den getöteten Kriegern des Spähtrupps abgenommen hatten, reichten nicht einmal für die Hälfte der Flüchtlinge, wohingegen die Temperaturen jenseits der Baumgrenze selbst im Sommer so niedrig waren, dass das Wasser gefror.
Seile hatten sie so gut wie keine. Und Seile, das wusste Naemy aus Erfahrung, waren im Hochgebirge lebenswichtig und unverzichtbar, vor allem wenn sie den Gletscher überqueren wollten. Es gab dort so viele verdeckte Spalten und Gefahren, dass Naemy am liebsten einen anderen Weg gewählt hätte - doch es gab keinen.
Wenn sie nur selbst Seile drehen könnten . . . Seufzend zog sie einen kleinen trockenen Brotlaib aus dem Bündel hervor und brach ihn in drei Teile. »Hier.« Ein Stück gab sie an Glamouron weiter, das andere reichte sie Shari, die sich neben sie gesetzt hatte. Diese lächelte und nickte dankend, wandte sich dann aber ab, um in den eindrucksvollen Anblick der Berge zu versinken.
Naemy beobachtete sie verstohlen. Ihre kleine Schwester hatte sich erstaunlich schnell gefangen.
Sie klagte nicht, machte niemandem Vorwürfe und trug die Stummheit mit einer tapferen Würde, für die Naemy sie im Stillen bewunderte. Die Zweifel und Bedenken, die sie an Naemys Plan gehabt hatte, waren ebenso verschwunden wie der brennende Wunsch, das Unvermeidliche aufzuhalten oder ihr Wissen dazu zu nutzen, anderen zu helfen.
Plötzlich erklang ein kreischender Schrei in unmittelbarer Nähe. Die Elfen zuckten erschrocken zusammen und blickten sich verwundert um, aber Naemy wusste sofort Bescheid. Mit einem Sprung war sie auf den Beinen, griff nach dem Langbogen, der neben ihr im Gras lag, und legte einen Pfeil auf die Sehne. Mit dem gespannten Bogen in den Händen lief sie ein paar Schritte auf die Wiese hinaus und zielte nach oben.
»Was ist los?« Glamouron war ebenfalls aufgesprungen und ihr gefolgt.
»Sucher!« Naemy ließ die Wipfel der Bäume nicht aus den Augen.
»Sucher?« Glamouron runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was Naemy meinte, doch er spürte ihre Anspannung. Als er aufschaute, sah er drei hässliche federlose Fluggeschöpfe, die in diesem Augenblick über das Blätterdach hinwegglitten und geradewegs auf die Elfen zuhielten. Beim Anblick der bewaffneten Nebelelfe brachen sie in hektisches Kreischen aus und versuchten Flügel schlagend an Höhe zu gewinnen, doch es war zu spät.
Naemy zögerte nicht. Schon der erste Pfeil fand sein Ziel und bohrte sich mitten in den ölig glänzenden Rumpf eines der Tiere. Die beiden anderen zischten böse. Doch statt zum Angriff überzugehen, drehten sie
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