Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
verzehrten. Von den klauenartigen, blutverschmierten Fingern troff das Blut auf die Rüstungen und den Boden, doch das störte die Krieger nicht. Gierig und wie ausgehungert rissen sie mit den Zähnen große Fetzen von den Knochen, die sie in den Händen hielten, und schlangen sie raubtiergleich herunter. Glamouron fühlte die Abscheu, die Naemy bei diesem Anblick empfunden hatte, und erschauerte. Doch dann änderte sich das Bild. Als hätte die Nebelelfe sich umgesehen, wanderte der Blick über den freien Platz und blieb an etwas Großem hängen, das sich wie ein dunkler, feucht glänzender Felsen in der Dunkelheit auf der anderen Seite der Lichtung erhob. Das seltsame Gebilde hatte die Neugier der Nebelelfe geweckt, und sie war im Schutz der Bäume langsam darauf zugeschlichen. Lange verbargen die Schatten des abendlichen Waldes, worum es sich bei dem seltsamen Gebilde handelte, doch dann erhaschte Naemy einen Blick auf einen gewaltigen, von Blättern und Erde verdreckten Schnabel. Es war Chiriga!
Mit geschlossenen Augen lag das tote Riesenalpweibchen am, Boden. Unzählige schwarze Pfeile ragten aus seinem gewaltigen Leib, der von der Wucht des Aufpralls zerschmettert worden war. Das Genick war gebrochen, der Schnabel blutig, und die Flügel standen in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab.
Am grässlichsten jedoch war der Anblick des aufgeschlitzten Unterleibs, aus dessen Innerem eine übel riechende rotbraune Masse auf den Waldboden quoll, die bereits erste Fliegen anzog. Offensichtlich hatten die Krieger mit den Schwertern große Stücke aus dem Kadaver geschnitten und das Fleisch als Grundlage für ihr barbarisches Mahl verwendet. Glamouron fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Das tragische Ende des Riesenalpweibchens erschütterte ihn zutiefst, und er machte sich heftige Vorwürfe, es zu diesem Flug überredet zu haben. Er wollte die Verbindung zu Naemy abbrechen, um dem schrecklichen Bild zu entfliehen, da wandte die Nebelelfe die Aufmerksamkeit von Chirigas Kadaver ab. Etwa fünf Längen von dem getöteten Riesenalp entfernt lag in gekrümmter Haltung eine gefesselte Gestalt reglos am Boden.
Das bin ich, schoss es Glamouron durch den Kopf, und er beobachtete, wie sich Naemy dem Gefangenen langsam näherte.
Während sie sich durch Elfenmagie vor den Blicken der Krieger schützte, huschte sie lautlos auf Glamouron zu und kniete sich neben ihn auf den feuchten Waldboden. Selbst in den Gedankenbildern konnte Glamouron noch die Freude spüren, die Naemy empfunden hatte, als sie ihn erkannt hatte, und die Erleichterung darüber, dass er noch lebte.
Offensichtlich hatte er großes Glück gehabt und den Sturz gut überstanden. Außer einer klaffenden Platzwunde an der Stirn waren keine weiteren Verletzungen zu sehen, doch er war besinnungslos und hatte die Augen geschlossen. Dann blitzte die Klinge eines Messers in dem Gedankenbild auf, und Glamouron sah, wie sich Naemy daranmachte, die Fesseln zu durchtrennen. Sie arbeitete schnell, aber die Stricke waren dick. Mehrmals hob sie den Blick und vergewisserte sich, dass die Krieger noch immer am Feuer saßen, um dann fieberhaft weiterzuarbeiten. Endlich war es so weit: Die Stricke lösten sich.
Nachdem sie sich ein letztes Mal davon überzeugt hatte, dass die Krieger sie nicht bemerkt hatten, fasste Naemy Glamouron unter den Achseln und zog ihn langsam in das schützende Dickicht.
Das Bild erlosch, und Glamouron spürte, wie sich Naemy behutsam aus seinem Bewusstsein zurückzog.
»So habe ich dich gefunden«, erklärte sie knapp.
»Du hast mir das Leben gerettet«, berichtigte Glamouron und ergriff Naemys Hand. »Dafür werde ich dir ewig dankbar sein, s ninglor - meine goldene Wasserblume«, sagte er liebevoll.
S ninglor. Naemys Augen strahlten vor Glück. Wie lange war es her, dass Glamouron sie zum letzten Mal so gerufen hatte? Er war der Einzige, der sie je so genannt hatte, und die Worte weckten schmerzliche Sehnsüchte in ihr, die sie unendlich viele Sommer lang unterdrückt hatte.
Wie gern hätte sie ihn in diesem Augenblick in die Arme geschlossen und ihm alles berichtet, doch sie wusste, dass er Zeit brauchen würde, um zu verstehen. »Naemy?«
Erst jetzt bemerkte Naemy, dass sie Glamouron die ganze Zeit angestarrt hatte. Verlegen wischte sie sich mit der Hand über die Augen und sagte entschuldigend: »Verzeih, ich bin ein wenig müde.«
»Das glaube ich dir gern, aber ich habe dich etwas gefragt.« Glamouron lächelte nachsichtig
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