Die Sakristei Des Todes
fuhr der
Kesselflicker fort, »kamen sie her, töteten jeden armen Hund, der
an Jesus glaubte, und plünderten die Klöster aus.« Selbstbewußt
schaute er sich um. Er war stolz auf das bißchen Schulbildung, die
er besaß, und konnte nie der Gelegenheit widerstehen, damit zu
prahlen.
»Römer«, widersprach Athelstan. »Die
Römer sind in England eingefallen. Ja, und als der christliche
Glaube sich hier verbreitete, töteten sie die, die an Christus
glaubten. Männer wie St. Alban, dessen heiliger Leichnam nördlich
von London in einer eigenen Kirche liegt.« Er sah die Enttäuschung
in Tabs Augen. »Aber vielleicht hast du recht, Tab. Die Wikinger,
die viel später kamen, waren tatsächlich in London. Sie haben
ebenfalls Christen ermordet, und weiß Gott, dies könnte eines ihrer
Opfer sein.« Er schaute in die Grube. »Aber wir wissen nicht, ob es
ein Mann oder eine Frau ist. Also«, fuhr er fort, »Pike, Huddle,
Watkin, nehmt das Skelett vorsichtig heraus.« Er deutete durch das
Kirchenschiff zum Gemeindesarg, einer großen Eichenholzkiste, die
in einem der Querschiffe stand. »Legt die Gebeine dort hinein, und
dann wollen wir sehen, was wir finden können.« Die auserwählten
Gemeindemitglieder hoben das Skelett langsam und ehrfürchtig an,
als sei es der heiligste Gegenstand unter der Sonne, und die
übrigen, auch die Bauarbeiter, knieten nieder und bekreuzigten
sich. Alle schraken auf, als Bonaventura, der sich in die Kirche
geschlichen hatte, plötzlich erkannte, daß die weggeräumten
Bodenplatten Ratten und Mäuse aufgestört hatten, und nun wie ein
Geschoß aus schwarzem Fell quer durch den Chor sauste, um sich auf
seine Beute zu stürzen. »Na los!« drängte Athelstan.
Das Skelett wurde auf der
Segeltuchplane aus der Grube gehoben. Athelstan achtete nicht auf
das Protestgeflüster seines Gemeinderates; er untersuchte die
Gebeine und bemerkte, wie zart und weiß sie waren. Behutsam drehte
und wendete er Schädel und Rippen, aber er fand keine Spur von
Gewalt.
»Seltsam«, murmelte er. »Was denn,
Pater?«
»Nun, ich bin kein Arzt, aber gar so
alt kann das Skelett nicht sein. Seht doch, wie fein und fest die
Knochen noch sind. Ich vermute, es handelt sich um eine Frau, und
nach allem, was ich aus der römischen Märtyrologie noch weiß, sind
die meisten eines barbarischen Todes gestorben, durch Kreuzigen,
Hängen, Pfählen oder Enthaupten. Dieses Skelett aber ist
unbeschädigt.«
Er hätte den Schädel gern noch etwas
genauer betrachtet, aber die Pfarrkinder drängten sich jetzt allzu
dicht um den Sarg. Er winkte Tab. »Geh hinunter und hol den Büttel,
Master Bladdersniff«, befahl er. »Du wirst ihn in einer der
Bierschenken finden.« Athelstan betrachtete noch einmal das
Skelett. »Und dann Culpepper, den Arzt. Sein Haus steht an der Ecke
der Reeking Alley. Er mag alt sein, aber er ist
erfahren.«
Dann scheuchte er alle zur Kirche
hinaus und befahl den Arbeitern, weiterzumachen und die verlorene
Zeit aufzuholen. Eine Zeitlang standen die Gemeindemitglieder noch
draußen in der Sonne und plauderten aufgeregt, während Athelstans
Stimmung sich immer weiter verdüsterte. Ihm schwante, was nun
passieren würde. In Scharen würden die Leute zur Kirche strömen;
man würde Wunder erwarten, sich um Reliquien balgen, und die
alltägliche Ruhe in seiner Pfarrei wäre dahin. Die Fälscher würden
folgen, die Ablaßhändler aus Avignon und aus Rom, erpicht darauf,
die Angst der Menschen zu Geld zu machen. Dann die
Reliquienhändler, wie immer die Taschen voller Müll, und die
Reliquienkäufer - Leute, die gutes, hartes Silber für die
Fingerglieder eines Heiligen oder für einen Splitter vom Schädel
bezahlten. Und schließlich die professionellen Pilger und anderen
religiösen Eiferer, die ihr Leben in einem Zustand ähnlich dem der
Hysterie verbrachten.
Athelstan entfernte sich von der
Gruppe, und Benedicta folgte ihm. Er blieb stehen und sah sich nach
der Kirche um.
»Wie alt ist das Gebäude?« fragte
sie; sie ahnte, woran er dachte.
Athelstan schaute zu den
schmutziggrauen Mauersteinen des verwitterten Kirchturms
hinauf.
»Ich weiß es nicht genau«, sagte er.
»Aber zur Zeit König Stephens hat eine große Feuersbrunst hier
jedes Haus dem Erdboden gleichgemacht. Die
Kirche kann also frühestens unter der Herrschaft seines
Nachfolgers, König Heinrich II., entstanden sein.« Athelstan nagte
an seiner Lippe und versuchte, sich an seinen Geschichtsunterricht
zu erinnern. »Das war vor ungefähr
Weitere Kostenlose Bücher