Die Sakristei Des Todes
gewinnen, sehr gering. Cranston lächelte,
während ihm die verschiedenen Möglichkeiten in Windeseile durch den
Kopf gingen. Wenn Lady Maude doch nur hier wäre. Vor allem aber
fehlte ihm Athelstan: Der Mönch hätte irgendeinen ehrenhaften
Ausweg gewußt. Aber jetzt hatte Cranston keine Wahl. Was konnte er
tun - seine früheren Prahlereien in aller Öffentlichkeit
zurücknehmen?
»Mylord Cranston«, wiederholte
Gaunt, »nehmt Ihr die Wette an?«
Cranston trank schlürfend aus seinem
Weinbecher. »Selbstverständlich«, erwiderte er kühn, und eine Woge
von Jubel, gutmütigen Spottrufen und Anfeuerungen erhob sich.
Schwerfällig erhob sich der Coroner und verfluchte insgeheim den
schweren Wein, der in seinen Adern strömte und seinen Verstand
stumpf machte. Schließlich war er Cranston. Weshalb sollte er vor
diesen Trotteln, diesen Weibern in Männerkleidern, das Gesicht
verlieren? Er war Sir John Cranston, Coroner der Stadt London,
Gatte der Lady Maude, Vater von Francis und
Stephen. Er hatte Festungen gegen die Franzosen gehalten und allein
so manchen Gegner angegriffen.
»Kein Geheimnis«, brüllte er,
»übersteigt meine Verstandeskraft! Wenn ein Problem existiert«,
fugte er hinzu und zitierte seinen Gehilfen Athelstan, »dann ist es
logisch, daß auch eine Lösung existieren muß.«
»Das bestreitet niemand.« Gaunt
schlug ihm auf die Schulter und drückte ihn sanft wieder auf seinen
Stuhl. Der Coroner sah das verschlagene Lächeln des Regenten, den
mitleidigen Blick des jungen Königs und das triumphierende Blitzen
in den Augen Cremonas.
»Ist die Lösung denn bekannt?«
fragte Cranston. »Natürlich«, antwortete Cremona. »Wie es Brauch
ist, werde ich eine Person auswählen - zum Beispiel Seine Gnaden,
den König. Wenn Eure Theorie falsch ist, wird man ihm, nachdem er
feierlich Stillschweigen gelobt hat, einen Teil der Lösung
offenbaren.« Cremona lachte. »Allerdings hat noch niemand eine
Lösung angeboten - nicht einmal eine falsche.« Gaunt wandte sich an
den italienischen Edelmann. »My-Lord«, sagte er seidig, »Ihr habt
die Herausforderung ausgesprochen, und Sir John hat den Handschuh
aufgehoben. Wir warten mit angehaltenem Atem auf Euer Geheimnis.«
Galeazzo, Fürst von Cremona, schob seine seidenen Ärmel zurück und
stand auf; seine Gewänder umwallten ihn und verströmten einen
zarten, köstlichen Duft, der in England unbekannt war.
»Euer Gnaden, mein König, Mylord
Lancaster und Ihr anderen edlen englischen Lords und Barone - die
üppige Gastlichkeit meines Gastgebers hat uns tief beeindruckt und
wird nie vergessen werden.«
Galeazzo stützte sich auf den Tisch,
warf Cranston einen bedeutsamen Blick zu und schaute dann in die
Halle. Seine Rede war makellos, wenngleich
seine milde Stimme von einem leichten Akzent gefärbt
war.
»Ich will Eure Zeit nicht
verschwenden. Es ist schon spät, und wir haben alle viel
getrunken.« Er bewegte die Hände, und das strahlende Licht ließ die
Ringe an seinen Fingern blitzen wie Sterne. »Sir John Cranston hat
meine Wette angenommen, die Herausforderung, ein Problem zu lösen,
das noch niemand hat ergründen können - nur ich allein, und ich
habe die Lösung niedergeschrieben und das Dokument versiegelt.
Ärzten in Paris habe ich das Problem vorgelegt, Rechtsanwälten in
Montpellier und Professoren in Köln und in Nantes. Doch ohne
Erfolg.« Galeazzo hielt inne und holte tief Luft. »Vor vielen
Jahren besaß meine Familie ein Herrenhaus in der Nähe von Cremona -
ein großes, dreistöckiges Gebäude von hohem Alter und unheimlichem
Ruf. Einmal, als Kind, verbrachte ich die Weihnachtszeit dort bei
meiner alten Tante, der Eigentümerin.« Lächelnd schaute er sich in
der Gesellschaft um. »Wo es auch sein mag, und in welchem Ruf der
Ort auch steht - wenn das Weihnachtsscheit im Kamin brennt und wir
Italiener die Geburt Christi feiern, dann wird am Abend ein Bankett
veranstaltet.« Er lachte. »Nicht so üppig wie dieses hier, aber wie
es der Brauch will, muß jeder Gast, wenn erst der Weinkrug die
Runde macht, eine Geistergeschichte erzählen. Ich erinnere mich gut
an jenen Abend. Es war das kälteste Weihnachtsfest seit
Menschengedenken. Ein beißender Nordwind trieb den Schnee in Böen
von den Alpen herunter, und die Villa war durch tiefe Schneewehen
und vereiste Straßen völlig abgeschnitten. Dennoch, wir hatten
warme Feuer und reichlich zu essen, und wir feierten in dieser Zeit
der Schatten. Draußen war kein Laut zu hören, nur das Seufzen
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