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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Geheimnis vorgetragen. Ein Geheimnis, das den Verstand und das
Wissen der Gebildeten an seinem Hofe und auch anderswo auf eine
harte Probe gestellt hat. Sir John hat eine Wette um eintausend
Kronen akzeptiert.« Der junge König schnippte mit den Fingern, und
aus dem Schatten trat ein Page mit einem scharlachroten Kissen, auf
dem eine versiegelte Schriftrolle lag. Richard nahm sie zur Hand.
»Hier liegt die Antwort. Nun, Ihr Herren, ist einer hier in der
Halle, der das Geheimnis lösen kann?« 
    Verneinendes Gemurmel erhob sich.
Der italienische Fürst beugte sich vor, und sein selbstgefälliges
Lächeln war für jedermann sichtbar. Der König wandte sich an
Cranston. »Mylord Coroner, könnt Ihr es?«
    Cranston erhob sich, ging um den
Tisch herum und trat vorn an die Estrade. Er verbeugte sich tief.
»Euer Gnaden, ich glaube, ich kann es.« Ein tiefer Seufzer ging
durch die Halle. Der König setzte sich und warf Athelstan einen
mutwilligen Blick zu. Gaunt lehnte sich auf seinem Stuhl zurück,
stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und formte die Hände zu
einem Spitzdach, während der italienische Fürst nervös an seiner
Unterlippe zu nagen begann. Sir John, ein vollendeter Schauspieler,
schlüpfte derweil von einer Rolle in die andere - er war nicht mehr
der bombastische Ritter, der vertrottelte Trunkenbold oder der
wütende Justizbeamte. Athelstan verschränkte die Arme. Cranston
würde jetzt demonstrieren, daß sich hinter dem fetten roten Gesicht
und dem ungekämmten Grauschädel ein Verstand verbarg, der ebenso
scharf war wie nur irgendeiner in Universität, Kanzlei oder
Gerichtssaal.
    Sir John spielte sich warm; er ging
auf der Estrade auf und ab und wartete, daß das Gemurmel
verstummte. Er fing erst an, als er die Aufmerksamkeit aller
Anwesenden hatte. Dann drehte er sich um, und seine blauen Augen
schauten den jungen König an.
    »Euer Gnaden, ich glaube, mit dem
Geheimnis verhält es sich folgendermaßen.« Cranston fuhr sich mit
der Zunge über die Lippen und hob die Stimme, damit ihn alle hören
konnten. »Ein junger Mann schlief in der scharlachroten Kammer und
wurde tot am Fenster aufgefunden. Ein Priester aus dem Dorf, der
durch den Schnee heraufgekommen war, starb desgleichen. Am
rätselhaftesten aber war der Tod zweier Soldaten, die in der Kammer
Wache hielten.« Cranston wandte sich halb um. »Ihr erinnert Euch
vielleicht, daß der eine den anderen mit seiner Armbrust erschoß,
bevor er selbst zusammenbrach und starb.« Er ließ eine
wirkungsvolle Pause eintreten. »Niemand sonst hat das Zimmer
betreten. Es gab keine geheimen Türen oder Gänge. Kein vergiftetes
Essen oder Trinken wurden gebracht. Vier Menschen starben, einer
davon durch eine Armbrust. Drei aber« - Cranston hob die Hand -
»wurden vergiftet.«   
    »Wie denn?« fragte Cremona. »Mylord,
der Mörder war das Bett.«
    Athelstan sah den überraschten Blick
des Italieners. Cranston war auf der richtigen Fährte. »Erklären!
Erklären!« rief König Richard. Gaunt hielt die Hand vor den Mund
und drehte den Kopf leicht zur Seite. In der Halle herrschte
Totenstille; die Herablassung auf den Gesichtern verschwand
zusehends. Athelstan schaute sich um. Sogar die Bannerträger und
die Gardesoldaten in ihrer königlichen Livree starrten Cranston an,
und der Dominikaner erkannte, daß er so sehr in die Angelegenheiten
in Blackfriars und in St. Erconwald vertieft gewesen war und nicht
erfaßt hatte, wie weit das Interesse an Cranstons Wette ging. Jetzt
erst begriff er endlich, weshalb Lady Maude so besorgt war: nicht
nur, weil Cranston tausend Kronen aufs Spiel gesetzt hatte, sondern
auch, weil er hier seinen Ruf riskiert hatte, und der war sehr viel
wert. Er hatte riskiert, als eine Art Hofnarr abgetan zu werden,
statt weiterhin als Coroner des Königs in der Stadt London
Anerkennung und Achtung zu genießen.   
    Cranston stand da mit gespreizten
Beinen, hatte die Daumen hinter seinen Gürtel geschoben und genoß
das erwartungsvolle Schweigen.
    »Sir John«, blaffte Gaunt, »wie kann
ein Bett ein Mörder sein?«
    »Schon manch einer ist im Bett
gestorben, Mylord.«
    »Wir warten auf Eure Erklärung«, war
die knappe Antwort. Cranston trottete schwerfällig zum Tisch, hob
seinen Weinbecher und schlürfte geräuschvoll.
    »Das Bett«, begann er dann und
wandte sich in die Halle, »war anders als jedes andere. Ein Kissen
oder eine Matratze stopft man mit Stroh aus - bei den Armen
jedenfalls. Bei den Reichen nimmt man Schwanenfedern.«

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