Die Sakristei Des Todes
Ich weiß, du hast sie. Bitte, verrate sie mir.« Cranston hob seine
große, fette Hand. »Ich schwöre beim Leben meiner Kerlchen, daß ich
den Mund halten und niemandem erzählen werde, was du mir
anvertraust.«
»Seid Ihr sicher, Sir
John?«
»So sicher, wie mein Bauch dick und
leer ist.«
»Dann, Mylord Coroner, sollte ich
meine Hypothese vielleicht zunächst auf die Probe
stellen.«
Nach dem Abendessen ging Athelstan
mit Cranston zurück in ihre Schlafkammer.
»Gut, Sir John, dann beginnen wir
noch einmal von vorn. Wir haben eine Kammer ohne geheime Zugänge
oder Falltüren, und doch geschehen hier vier Morde: Ein junger
Mann, ein Kaplan und zwei Soldaten verlieren das Leben. Keines der
Opfer hat etwas gegessen oder getrunken, und es gehört zu dem
Geheimnis, daß niemand den Raum betreten hat, so daß auch kein
Unbekannter die Hand im Spiel gehabt haben kann.« Athelstan zuckte
die Achseln. »Nun lehrt uns die Logik, immer nach dem gemeinsamen
Nenner zu suchen, nach einem Faktor, der allen Dingen gemeinsam
ist. Dies also ist meine Lösung.« Er band seine Satteltaschen auf
und legte etliche Gegenstände auf das Bett. Cranston sah aufmerksam
zu, wie Athelstan ihre Schlafkammer in das Mordzimmer verwandelte
und vorführte, wie jeder der Männer gestorben war, während er dem
verblüfften Coroner eine einleuchtende Erklärung gab, warum es
geschehen war.
»Das kann nicht sein!« hauchte
Cranston. »Das ist unmöglich!«
»Sir John, das ist die einzige
Erklärung. Und jetzt will ich es Euch beweisen, indem ich Euch als
mögliches Opfer nehme.« Eine Stunde später mußte Cranston
widerwillig zugeben, daß Athelstans Schlußfolgerung die einzig
annehmbare sei.
»Das will ich hoffen«, erwiderte
dieser fröhlich. »Denn bei Gott, Sir John, eine andere Antwort
wüßte ich nicht.«
»Und wenn du dich irrst?« brummte
Sir John. »Wenn wir etwas vergessen haben? Was dann, he? Woher
kriege ich das Geld, um den Fürsten von Cremona zu bezahlen?«
Athelstan ließ das Gesicht in die Hände sinken. Er liebte Cranston
wie einen Bruder, aber manchmal war der Coroner wie ein quengelndes
Kind. Dennoch, er hatte nicht unrecht. Dies war kein simples
Gedankenspiel, eines jener Rätsel, wie sie bei den Philosophen von
Oxford und Cambridge so beliebt waren. Cranstons Ruf, sein Ansehen
als hoher Beamter der Justiz, stand auf dem Spiel. Der Ordensbruder
stand auf.
»Darauf weiß ich keine Antwort, Sir
John. Ich muß jetzt zum Pater Prior. Ich muß ihm sagen, daß wir
morgen fortgehen und erst am Sonntag zurückkommen.« Er klopfte Sir
John auf die Schulter. »Schlaft ein wenig. Ihr werdet morgen einen
wachen Verstand brauchen.«
Aber als Athelstan zwei Stunden
später wiederkam, saß Cranston natürlich da und hielt seinen
wunderbaren Weinschlauch im Arm, als wäre es eines seiner Kerlchen.
»Ich hatte noch eine andere Sache mit dem Pater Prior zu
besprechen.«
»Was hast du da in der Hand?«
Cranston deutete auf die kleine Pergamentrolle, die Athelstan in
seine Satteltasche stopfen wollte. »Nichts, Sir
John.«
Cranston tat einen Seufzer. »Du bist
ein alter Geheimniskrämer, Athelstan. Aber ich bin zu müde.«
Cranston warf seine Kleider ab und ließ sich mit lautem Krach auf
das Bett plumpsen; Athelstan hielt es für ein Wunder, daß er nicht
mitsamt seinem Bett geradewegs durch den Fußboden sauste. Nach
wenigen Augenblicken schnarchte der gute Coroner. Athelstan sprach
seine Gebete, aber diesmal war es weniger das kirchliche
Stundengebet als vielmehr die Bitte, seine Lösung für Cranstons
Rätsel möge die richtige sein. Den nächsten Tag verbrachten sie
damit, ihre Schlußfolgerung zu erproben. Cranston schickte Bruder
Norbert zu seinem Haus in der Cheapside, um zu sehen, ob der Bote
aus Oxford zurückgekommen war, und der Lady Maude und seinen beiden
Kerlchen die besten Wünsche zu übermitteln. Als Norbert zurückkam,
war er voll des Lobes für die gnädige Lady Maude und der
Bewunderung für Cranstons springlebendige Jungen. Aber ein Bote,
erklärte er, nein, ein Bote sei nicht gekommen.
Cranston und Athelstan verließen das
Kloster Blackfriars am frühen Abend. Der Coroner wollte sich in
einer der Schenken am Flußufer erfrischen; danach mieteten sie ein
Fährboot, das sie flußabwärts zum Palast des John von Gaunt bringen
sollte. Schon als die Barke von der Flußmitte zum Ufer steuerte,
sahen sie, daß Gaunts Haushalt sie erwartete. Die Kunde von
Cranstons Wette hatte sich anscheinend bei Hofe
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