Die Salzbaronin
Vielleicht wollte Freya sie auf etwas gefasst machen. Freya, die immer für sie da war. Die ihre Einsamkeit teilte. Ihre Traurigkeit stillte. Die ihr kleine Zeichen schickte. Blätter mit besonderen Musterungen zum Beispiel. Oder Tannenzapfen, die ihr vom Baum direkt in den Schoß fielen. Harriet war nie müde geworden, von der großen Macht der Liebesgöttin zu erzählen. Aber etwas Größeres, etwas, was das ganze Leben veränderte, hatte Rosa von Freya noch nie erfahren. »Wer sollte mich schon lieben?« fragte sie schließlich die Bäume, die ihr die Antwort schuldig blieben.
8
Von Mitte Juni bis Mitte Juli regnete es Tag für Tag. Blickte man morgens aus dem Fenster, musste man zweimal hinschauen, um den Sommer zu erkennen. Die Wolkenbrüche hatten einen Teil der Blätter von Bäumen und Büschen hinabgepeitscht. Das sattgrüne Gras war mit Laub übersät wie sonst nur im Herbst. War es zuvor unerträglich heiß für die Jahreszeit gewesen, so mussten Mensch und Tier nun dafür büßen. Den Pferden im herrschaftlichen Stall wuchs mitten im Sommer ein dichtes Fell, unlustig lugten sie aus ihren Stallfenstern heraus. Selbst die Schwäne in Violas Seerosenteich schienen unter der kalten Witterung zu leiden: Statt mit hocherhobenen Häuptern durch den Garten zu stolzieren, rotteten sie sich in dem geschmiedeten Pavillon zusammen, der Viola im Hochsommer als Teehaus diente. Immer wieder wies sie den Gärtner und seinen Helfer an, die Viecher von dort zu verjagen, doch kaum waren die beiden Männer wieder im Gesindehaus verschwunden, wackelten die Vögel unverdrossen erneut in den begehrten Unterschlupf.
Im Herrenhaus brannte zumindest in den Morgenstunden ein Feuer im Frühstückszimmer, wobei täglich mindestens ein Familienmitglied betonte, wie ungewöhnlich dies für die Jahreszeit doch sei.
Elisabeth hätte zu einem Feuer in ihrem Schlafgemach auch nicht nein gesagt, wagte es aber nicht, Georg ihre Bitte vorzutragen. Sie galt wahrscheinlich sowieso schon als zimperlich. Dass um die Frauen im Hause Graauw nicht viel Aufsehen gemacht wurde, hatte sie inzwischen erkennen müssen. Nicht, dass Viola, Dorothea oder sie irgendeinen Mangel leiden mussten, Gott behüte! Aber es war alles so … nüchtern! Sie wagte es kaum mehr, nur den kleinsten Wunsch zu äußern, weil die beiden anderen Frauen dies auch nicht taten. Zu Hause, auf Schloss Leutbronn, war alles anders gewesen! Dass ihr wie einer Prinzessin jeder Wunsch von den Augen abgelesen worden war, wusste sie erst jetzt zu schätzen. Hatte sie wirklich Mamans tägliche Einladungen zur Kaffestunde, zu denen alle möglichen Damen aus der näheren und weiteren Umgebung Vaihingens gekommen waren, für unsäglich langweilig gehalten? Heute sehnte sie sich danach zurück. Und erst nach den Abenden! Fast täglich waren sie Einladungen gefolgt oder hatten selbst welche gegeben. Theaterabende, die Oper, Dichterlesungen, kleine Diners und große Tafeln - die Löwensteins waren gern gesehene Gäste und viel besuchte Gastgeber.
Papa verstand es, ganze Runden zu erheitern, und Mamans Charme … Elisabeth seufzte. Von dem hätten Viola und ihre Schwägerin auch etwas nötig gehabt! Viola betonte zwar immer, wie gern Gut Rehbach besucht wurde und was für eine hochgeschätzte Gastgeberin sie sei. Doch es tat sich nichts, was Elisabeth zu Hause auf den Stapel »nennenswerte Einladungen« gelegt hätte. Ein Kaffeekränzchen mit zwei verwitweten Freifrauen? Eine sonntägliche Matinee, zu der gerade einmal eine Handvoll Gäste erschienen, die sich das Gähnen angesichts der unsäglich langweiligen Lyrik eines Dorfpoeten nicht verkneifen konnten? Durch Zufall war Elisabeth einmal ein Schreiben Violas in die Hände gefallen, mit dem sie in blumigsten Worten eine der besseren Familien aus Schwäbisch Hall zu einem Sommerfest eingeladen hatte - gekommen war jedoch keiner. Entweder war den Hallern der Weg hierher zu weit, oder - die Einladung war ihnen die Reise über die holprige Straße nicht wert! Elisabeth kniff den Mund zusammen. Ein bisschen konnte sie die Leute verstehen. Wenn doch nur …
Sie griff nach ihrem Gedichtband und zwang sich, weiterzulesen.
»Was sitzt du hier und grübelst? Hast du nichts Besseres zu tun?« Georg war so leise an sie herangetreten, dass sie erschrocken das Buch fallen ließ, als er ihre Wange küsste.
»Bist du für heute etwa schon fertig mit deiner Arbeit?« Elisabeth stand auf und ergriff Georgs kalte Hände. Sie musste sich zu einem Lächeln
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