Die Salzbaronin
das wirst du auch noch lernen, lieber Bruder.«
Georg seufzte. So würde das nun ewig weitergehen. Auf Dorotheas Anregung hin hatten sie vor einigen Wochen begonnen, sich zusätzlich zu den Stunden am Vormittag am späten Nachmittag noch einmal im Büro einzufinden. Am Anfang war er von der Idee angetan gewesen. Er wollte die Gelegenheit nutzen, von ihrem Wissen über die Saline zu profitieren. Doch inzwischen konnte er ihren Umzug aufs nachbarliche Gut der Hohenweihes kaum noch erwarten. War sie erst einmal Baronin von Hohenweihe, würde er von ihren Lehrstunden verschont bleiben. Obwohl. Bei Dorothea war er sich nie sicher.
Inzwischen hasste er jede Stunde, die er gemeinsam mit ihr am Schreibtisch ihres Vaters verbrachte. Fast täglich überschüttete sie ihn mit neuen Vorschlägen, Ideen und Gedanken, die allesamt um die Saline kreisten. Was soll der ganze Unfug? hätte er ihr am liebsten bei mehr als einer Gelegenheit ins Gesicht geschrien. Und: Als Vater die Saline geleitet hat, ist die Sole doch auch geflossen. Und zwar mit wesentlich weniger Aufwand! Zumindest konnte er sich nicht vorstellen, dass Frederick von Graauw Tage damit verbracht hatte, über neue Methoden der Soleförderung nachzugrübeln - so wie Dorothea es tat. So wie sie es von ihm forderte. Er erinnerte sich an Elisabeths
Worte vor einigen Wochen. Das ist doch unnatürlich für eine Frau! hatte sie über Dorotheas Gebaren gesagt. Und hatte sie nicht recht damit?
Warum er es nicht wagte, ihr ganz einfach seine Meinung zu sagen, wusste er selbst nicht. Schließlich war er der Graf. Er leitete Rehbach.
Dorothea schaute von ihren Zahlenreihen auf. »Soll ich mir den Rauber vornehmen?« fragte sie.
Wie sich das anhörte, aus dem Mund eines Mädchens! Unfähig zu einer Antwort, schaute Georg auf die wippende Feder in Dorotheas Hand. Er hasste solche Gespräche, die dauernd Entscheidungen von ihm forderten. In seinem Kopf herrschte dabei immer ein solcher Tumult, dass er am Ende meist nicht wusste, was sich am besten als Antwort eignete. So schwieg er oft. Wütend über sich selbst stand er auf, ging einfach aus dem Zimmer und ließ eine sprachlose Dorothea zurück. Für heute konnte sie ihm mit ihren ganzen Fragen gestohlen bleiben!
Ohne sich noch einmal umzudrehen oder eine Erklärung abzugeben, ging er in Richtung Stall. Doch statt sich ein Pferd geben zu lassen, lief er um den Stall herum in Richtung Wald. Er wollte nichts sehnlicher, als einige Zeit allein sein. Sobald er außer Sichtweite war, ließ er sich auf dem weichen, hellgrünen Moosboden nieder. Er atmete tief durch, doch eine Entspannung wollte sich nicht einstellen. Statt dessen spürte er, wie tausend kleine Ängste ihn pieksten wie Nadelholz.
Zu seinem Ärger mit Dorothea gesellte sich die Sorge um Elisabeth. Sie war so still, so in sich gekehrt, dass er an manchen Tagen das Gefühl hatte, nicht ihr, sondern einem besonders fein gezeichneten Portrait gegenüberzusitzen. Wenn es überhaupt möglich war, dann war sie in Georgs Augen noch schöner geworden: Ihre Taille war so schlank, dass er sie mit beiden Händen umfassen konnte. Ihre Haut war so weiß und durchsichtig, dass er unter ihren Augen ein feines Geäst blauer Äderchen sehen konnte. Ihre Augen glänzten, und doch fehlte ihrem Blick etwas, was er nicht benennen konnte. Ihre Zartheit machte ihm angst. Genau wie ihre Tatenlosigkeit, die er fast schon Apathie nennen musste. Was eine Dame im einzelnen mit ihrer Zeit anfing, wusste er nicht, doch nun zerbrach er sich den Kopf darüber. Warum sie nicht Viola bei der Gartenplanung helfen mochte, hatte er sie gefragt und nur ein harsches Lachen geerntet. Bei der Frage, warum sie nicht ihre Maman zu einem Besuch einladen wollte, war es ihm gleich ergangen. Als er ihr vorgeschlagen hatte, Feinstickereien oder die Portraitmalerei zu studieren, hatte sie abgewinkt ohne ein Wort der Begründung. Er hatte nicht weiter nachgehakt. Er wusste, was Elisabeth beschäftigte - er selbst fragte sich schließlich auch immer wieder, warum sie noch nicht schwanger war. Georg seufzte und stand mit schweren Gliedern wieder auf. Er würde Martin Richtvogels Besuch nutzen, seinem Freund einige Fragen über »Frauenangelegenheiten« zu stellen. Vielleicht wusste Martin eine Antwort? Zu Friedrich Neuborn wollte er Elisabeth nicht schicken. Er war für die Gesundheit der Salinenarbeiter zuständig, die Familie behandelte er nicht. Und so dringend war Elisabeths Problem schließlich nicht, versuchte
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