Die Salzbaronin
aufzuspringen und sich mit dem von Luise bereitgestellten Wasser, das sicher nur noch lauwarm war, zu waschen, streckte sie sich wie eine Katze. Dann setzte sie sich auf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Manche Probleme lösen sich im Schlaf, hieß es. Wie weggeblasen waren ihre Ängste, ihre Unsicherheiten der letzten Nacht. Voller Energie schwang sie beide Füße gleichzeitig auf den Boden.
Sie zog ein weinrotes Kleid aus dem Schrank, warf es sich über den
Kopf und flocht ihren Zopf. Als sie prüfend in den Spiegel schaute, erschrak sie für einen Moment: Unter ihren Augen lagen violettfarbene Schatten, unter denen die Haut transparent wirkte. Sie sah blass und kränklich aus, obwohl sich ihre Kopfschmerzen in Luft aufgelöst hatten und sie sich großartig fühlte.
Am liebsten hätte Dorothea zwei Stufen auf einmal genommen, doch sie zügelte sich. Sorgfältig ging sie nochmals die Fragen durch, die sie Martin Richtvogel am dringendsten stellen wollte. Hoffentlich war er noch im Haus und nicht auf der Jagd! Informationen zu sammeln war im Augenblick das wichtigste. Und danach würde sie alles daran setzen, Georg zu überzeugen. Ha! Was die Polen konnten, das sollten sie in Rehbach doch wohl auch können!
Schon im Flur nahm sie Stimmen und Gelächter wahr, beides kam aus dem Frühstückszimmer. Als sie näherkam, hörte sie, wie Georg über »Baden in warmem Salzwasser« sprach, in einem ungewohnt animierten Ton. Sie runzelte die Stirn. Wovon, um alles in der Welt, redete ihr Bruder?
»Stell dir vor, Dorothea, was Doktor Richtvogel uns gerade erzählt hat.« Als ihre Schwägerin nicht gleich mit einer Gegenfrage reagierte, platzte Elisabeth heraus: »Es gibt Leute, die gehen in eine Saline, um dort zu baden!«
Dorothea nickte zur Begrüßung in die Runde, zog sich den freien Stuhl zwischen Alexander und Viola heran und setzte sich. Als Luise ihr eine Platte mit Ei anbot, winkte sie ab und blickte Elisabeth irritiert an. »Was redest du da?«
Elisabeths Lachen gefror. »Ich …«
»Ich habe Ihrer verehrten Familie gerade von sogenannten Sole-Heilbädern berichtet. Diese sind inzwischen in ganz Europa en mode.« Martin Richtvogel nahm einen geräuschvollen Schluck Kaffee. »Woraufhin mich Ihr verehrter Bruder gefragt hat, ob die Menschen ihr Bad in einer Siedepfanne nehmen.« Er grinste Georg an. Die andern lachten. Selbst Elisabeth fiel wieder mit ein.
Mit regungsloser Miene schnitt Dorothea sich ein Stück von dem Hefegebäck ab, das in der Mitte des Tisches lag.
»Dass es Menschen gibt, die ins Meer gehen, um ihre Körper zu baden, davon habe ich übrigens schon gehört.« Triumphierend schaute Elisabeth in die Runde. »Meine Maman bekam erst letztes Jahr wieder eine Einladung nach Mecklenburg-Schwerin, wo der Herzog in Doberan ein Seebad hat einrichten lassen. Leider war es ihr nicht möglich, der herzoglichen Einladung zu folgen, aber es wurde ihr berichtet, dass es Hunderte von Badegäste nach Doberan zog und dass alle die vorzügliche Wirkung des salzigen Badewassers genossen haben.«
»Wenn es en mode wäre, würden manche Leute in Kuhdung baden!« antwortete Dorothea verächtlich und keine Spur beeindruckt.
Frederick brummte etwas Zustimmendes, woraufhin Viola ihn tadelnd anschaute.
Unwillkürlich zuckte Elisabeth zusammen. An Dorotheas direkte Art hatte sie sich noch immer nicht gewöhnt.
Martin Richtvogel räusperte sich. »Es mag sich vielleicht ungewohnt anhören, aber der gesundheitliche Nutzen von Salzwasser ist in der Tat nicht zu unterschätzen!« Die Nachsichtigkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören, er klang wie jemand, der sich herabließ, einem Kind etwas zu erklären. Seine Miene war dabei ein wenig überheblich, was Elisabeth im stillen freute. Verwundert registrierte sie, dass Dorothea schwieg, statt dem Gast sofort über den Mund zu fahren.
»Schon im antiken Griechenland wusste man, dass ein Bad in Salzwasser besonders bei Hautkrankheiten zu empfehlen ist. Und auch Paracelsus berichtet in einer langen Abhandlung von der großartigen Wirkung der Sulzen des Salzes.«
Georg winkte ab. »Das ist ja alles schön und gut, verehrter Freund, aber im Grunde genommen musst du weder die Griechen noch den großen Arzt des Mittelalters zitieren - unsere eigenen Siedeknechte reichen völlig aus!« Er knuffte Richtvogel in die Seite, dann schaute er Dorothea an. »Ist es nicht so, dass die Leute am Ende ihrer Schicht gern ein Bad in der warmen Sole nehmen?« Er zuckte mit
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