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Die Salzbaronin

Die Salzbaronin

Titel: Die Salzbaronin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Dorothea die ersten Salzwölkchen sah, spürte sie, wie ihre Kehle eng wurde. Sie griff an ihren Mantel, um den obersten Knopf zu lösen. Die kalte Luft umspielte ihren Hals, und sie hätte alles darum gegeben, sich den kratzigen Mantel vom Leib reißen zu können. Doch sie konnte das schwere Kleidungsstück so wenig abstreifen wie den plötzlichen Schwermut, der sie angesichts der salzwerfenden Salinenleute überfallen hatte. Auf einmal brannten Tränen unter ihren Augen. Sie reckte ihr Kinn, um besser Luft zu kriegen. Es war das Salz, das zählte, einzig das Salz, sagte sie sich wie im Gebet immer wieder vor.
    Der Trauerzug zog an der Hainbuchenhecke, die Violas Garten einrahmte, entlang. Von dort konnte man das Herrenhaus erkennen. Die Rehskulptur über dem Eingang war mit Trauerflor behangen.
    Es war in diesem Moment, nicht weit weg von der Stelle, wo sie Rosa im Herbst getroffen hatte, als sie erneut deren Anwesenheit spürte. Sie schaute auf, Violas eiskalte Hand in der ihren, und sah direkt in Rosas Augen. Und wieder war da dieses befremdende Gefühl, als spiegelte sich in Rosas Augen ihr Innerstes wider. Ihr schauderte. Wie das Weib sie anstarrte, gefiel ihr ganz und gar nicht! Als ob sie etwas für den Tod ihres Vaters konnte. Als ob es ihre Gedanken gewesen waren, die Frederick umgebracht hatten.
    Als sie an der Familiengruft ankamen, stellten Alexander und die anderen Träger den Sarg davor ab. Mit würdevollen Schritten trat der Pfarrer ans Kopfende und begann mit seiner Litanei.
    Dorothea Schloss die Augen und betete, dass die Trauerfeier nicht ewig dauern würde.
    Mit unbewegter Miene schaute Dorothea zu, wie der Sarg in das geöffnete Tor der Gruft geschoben wurde. Im Grunde genommen hatte ihr Vater es nicht verdient, hier zu liegen. Hier lagen nur Männer, denen die Saline etwas bedeutet hatte.
    Endlich waren alle Gebete gesprochen, alle Sprüche aufgesagt, alle Jagdhörner verstummt.
    Dorothea Schloss die Augen.
    Bald. Bald würde die Erde von Rehbach erneut aufgerissen werden. Doch statt zu nehmen, würde sie dieses Mal geben. Salz.

34
    Und dann war es soweit. Am zweiten Februar gingen in allen fünf Sudhäusern die Öfen aus, und alle Salinenarbeiter versammelten sich rund um den Solebrunnen. Götz hatte gerufen, und alle waren gekommen.
    Niemand konnte sich vorstellen, um was es eigentlich ging. Gerüchte gab es genug, doch jedes war abenteuerlicher als das andere. Viele nahmen an, dass die Versammlung irgendwie mit dem Tod des Grafen zusammenhing. Seltsamerweise munkelte jedoch niemand etwas von kommendem Übel oder schlechten Zeiten. Statt dessen schwang etwas Verheißungsvolles in den kleinen, weißen Atemwölkchen mit, und die Erwartung heizte sich immer weiter auf.
    Es war richtig gewesen, die Versammlung gerade auf diesen Tag zu legen, sagte sich Götz, als er auf die Plattform stieg, die er am Vortag zusammen mit Richard und Josef gezimmert hatte. Wie gut, dass er sich gegenüber Dorothea in diesem Punkt durchgesetzt hatte!
    Sie hatte anfangs nicht einsehen wollen, warum Götz auf diesem Termin bestand und damit fast eine ganze Woche verschenken wollte. »Warum können wir nicht sofort zu graben beginnen?« hatte sie am Tag nach der Beerdigung wissen wollen. »Die Zeit drängt, der Boden ist nicht gefroren - was für einen Sinn macht es, bis zum Februar zu warten?« Seine Erklärung war ihm schwer gefallen. Wie sollte sie verstehen, was der zweite Februar - Maria Lichtmess - für die Leute aus der Saline bedeutete? Dorothea bildete sich zwar auf ihr Verhältnis zu seinen Leuten wer weiß was ein, aber was wusste sie schon von ihrem Leben? Im Herrenhaus war es immer warm, und es gab Licht zu jeder Tages-oder Nachtzeit. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Herrschaften sogar in jedem Zimmer ein eigenes Feuer hätten! Die Rehbacher jedoch sehnten kaum einen Tag so sehr herbei wie Lichtmess. Von da an waren die Tage so lang, dass wieder drei Schichten gearbeitet würde. In ihren Hütten konnten die Leute wieder ohne die teuren Kerzen auskommen, das Abendlicht, so spärlich es auch war, reichte aus, um das Tagwerk zu beenden. Es hieß nicht umsonst: »An Lichtmess bei Tag ess’, bei Nacht die Kerzen vergess’!« Für die Salzleute war Lichtmess ein Tag der Freude - an diesem Tag konnte nichts Schlechtes geschehen, war ihre Überzeugung.
    Diese frohe Stimmung wollte Götz für sich nutzen.
    »Wie lange müssen wir noch warten?« rief einer der zuvorderst Stehenden. »Gleich geht’s los!«

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