Die Salzbaronin
sondern nur Wasser, Wasser, Wasser!«
Götz zog Dorothea nach hinten und stellte sich beschützend vor sie.
»Der Schacht hat sich Ellen geholt! Der Schacht und das Wasser!« schrie Hermann und schaute beifallheischend in die erschrockenen Mienen der Umstehenden. Die meisten wichen seinem Blick aus.
»Beruhige dich, und geh nach Hause!« sagte Götz barsch. »Los! Geh, bevor noch ein Unglück geschieht!«
Rosa warf einen traurigen Blick auf Ellen. Keiner kümmerte sich um die Tote, statt dessen wurde geschrien und geeifert.
»Ich gehe! Und ob ich gehe!« Ohne sichtbare körperliche Mühe schulterte Hermann die Leiche seiner Frau. Sein Grinsen war gespenstisch. So gespenstisch wie seine nächsten Worte. »Eines schwöre ich euch …«, sagte er an alle und niemanden gerichtet, »dass Ellen in dem Loch da umgekommen ist, wird nicht ungesühnt bleiben!« Und er verschwand unter den entsetzten Augen der Rehbacher.
42
Als Götz und Dorothea sich in dieser Nacht endlich zum Schlafen auf Götz’ Schlafstätte legten, war es fast schon wieder Zeit zum Aufstehen. Endlos hatten sie debattiert, im Kreis geredet, zwischendurch lange geschwiegen, jeder den Kopf voller Gedanken, den Mund voller Fragen, die nicht alle gestellt werden wollten. Hätte er Ellens Tod verhindern können, fragte sich Götz zum hundertsten Mal, während er Dorotheas unregelmäßigen Atemzügen lauschte. Er hob das Leinentuch, das sie im Schlaf von sich gestoßen hatte, wieder auf und deckte Dorothea damit zu. Seine Augen brannten vor Müdigkeit, doch kaum Schloss er sie, begannen seine Lider unruhig zu flattern, so dass an Schlaf nicht zu denken war. Er drehte sich zur Seite und starrte in die dunkle Leere.
War es nicht absehbar gewesen, dass sie in dieser Tiefe auf Grundwasser stoßen würden? Hätte er nicht viel nachdrücklicher darauf bestehen müssen, dass sie den verdammten Wasserschacht weitergruben? Noch besser wäre gewesen, er hätte Dorothea davon überzeugen können, den Schacht auszumauern. Dann hätte das Wasser keine Möglichkeit gehabt, einzudringen und …
Von all diesen Fragen hatte Dorothea nichts wissen wollen. Nachdem sie die Leute nach Hause geschickt hatte, war sie mit versteinerter Miene mit ihm gegangen. Er hatte ihr einen Becher Wein eingeflößt, und sie hatte Schluck für Schluck getrunken, mechanisch, ohne wahrzunehmen, was sie zu sich nahm - es hätte Essig sein können! Während er haderte und zweifelte und tobte, hatte sie sich völlig zurückgezogen. Ihre Verschlossenheit hatte ihn gekränkt - warum war sie nicht bereit, dieses Unglück gemeinsam mit ihm zu durchleben? Dann war er wütend geworden und hatte begonnen, sie anzuklagen. »Es war nicht richtig, die Leute so zu schinden!« hatte er ihr vorgeworfen. »Vielleicht waren Martin und die anderen einfach zu müde, um die Gefahr richtig einzuschätzen. »Wären sie nicht so panisch nach oben geklettert, sondern hätten auf halber Höhe erst einmal abgewartet, ob das Wasser überhaupt weitersteigt… ach, was rede ich für dummes Zeug!« hatte er sich selbst unterbrochen. »Wenn! Wenn! Wenn! Als ob das schon einmal jemandem geholfen hätte.« Nach kurzer Zeit hob er wieder an: »Ob der Schacht nun eine Woche früher oder später fertig wird - was soll’s. Was kümmert es uns, ob und wann dein verdammter Bruder zurückkommt? Das Wohlergehen der Leute - das musst uns kümmern!«
Da hatte Dorothea zum ersten Mal aufgeschaut, mit großen, verwunderten Augen, die fragten: Was redest du da eigentlich? »Wie kriegen wir das Wasser wieder raus aus dem Schacht?« fragte sie. »Es musst doch eine bessere Möglichkeit geben, als es eimerweise auszuschaufeln?« Sie biss sich auf die Lippen. »Wenn wir eine Pumpe hätten …«
»Ist das alles, was dich beschäftigt?« hatte er entgeistert gefragt. Er wusste nicht, ob er nach diesem Unfall überhaupt einen der Rehbacher wieder nach unten in den Schacht kriegen würde! Und das sagte er ihr. »Die Leute sind verstört, die haben Angst! Und Hermanns Reden haben auch nicht geholfen.«
»Götz! Rede nicht so daher! Du musst alles tun, um die Leute wieder aufzumuntern!« Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte sich vor ihm auf den Boden geworfen.
Sein Lachen war bitter gewesen, noch jetzt klang es ihm in den Ohren. »Dieses Mal spiele ich nicht den Rattenfänger für dich!« Jedes Wort hatte wehgetan, doch es musste gesagt werden: »Ich bin nicht mehr bereit, auch nur einen einzigen in den Schacht zu schicken, solange
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