Die Samenhändlerin (German Edition)
ihren Teller an und löffelte den letzten Rest Suppe aus. Als Emma Steiner ihr den Teller ungefragthingestellt hatte, hatte sie geglaubt, vor Aufregung keinen Bissen hinunterzukriegen. Doch schon beim ersten Löffel hatte sie gemerkt, wie ausgehungert sie war. Außerdem schmeckte die Suppe gut, es war sogar mehr Fleisch drin als daheim. Hannah atmete tief durch und sah sich um.
Das Aneinanderschlagen von Bierkrügen, der Essensdunst, Käthe Steiner, die vor Anstrengung rote Backen hatte – all das erinnerte Hannah sosehr an den »Goldenen Anker«! Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls, hinter die Theke zu rennen, ein paar Bierkrüge zu schnappen und diese an die Tische zu bringen. Dabei hatten die »Sonne« und ihre Gäste mit einem normalen Wirtshausbetrieb gar nichts zu tun! Wenn sie sich so umschaute –
»Möchten Sie noch einen Teller Suppe?«
Hannah schrak zusammen. Sie hatte Käthe nicht kommen hören, sosehr war sie in ihre Beobachtungen vertieft gewesen. Sie schüttelte den Kopf, dann winkte sie die Wirtstochter näher zu sich heran.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, flüsterte sie.
»Fragen kostet nichts«, antwortete die junge Frau schulterzuckend. Gleichzeitig schaute sie unruhig zur Theke hinüber, wo schon wieder ein Schwung Bierkrüge darauf wartete, serviert zu werden.
Hannah wies mit dem Kinn in die Mitte des Raumes, wo mehrere Tische zu einer langen Tafel zusammengestellt waren. Dort saßen die beiden Streithammel mit einem guten Dutzend anderer Männer zusammen. Über den ganzen Tisch verteilt standen viele kleine Schalen und Gläser, in denen sich etwas Undefinierbares, Pulverartiges befand. Immer wieder nahm jemand eines dieser Gläser in die Hand, schüttelte das Pulver darin auf oder ließ ein wenig davon in seine Hand rieseln. Andere nahmen einen der kleinen Löffel, die ebenfalls auf dem Tisch lagen, und holten damit etwas aus den Gläsern, um esnäher zu betrachten. An dem Pulver wurde gerochen, es wurde gewogen, von allen Seiten betrachtet, kleine Mengen davon wurden in Papiertütchen abgepackt … Seltsame Begriffe wie »Ulmer Riesen«, »Gelbe Wiener« oder »Deutscher Unvergleichlicher« flogen dabei wie ein Schwarm Fliegen über den Tisch.
Kopfschüttelnd betrachtete Hannah das Treiben. »Um was geht es da drüben eigentlich?«
»Um was es da … geht?« Käthe Steiner schien die Frage nicht zu verstehen.
»Na, ich meine, was machen die Männer da? Und was ist in den Gläsern?«
Die Miene der Wirtstochter hellte sich auf. »Ja, wissen Sie das denn nicht? Es sind Gemüsesamen, alle möglichen Sorten! Und etwas Blumensamen werden die Ulmer sicher auch mitgebracht haben. Bevor die Gönninger kaufen, wollen sie die Ware wenigstens in Augenschein nehmen. Ob ein Samen keimfähig ist, sieht man ihm natürlich nicht an – diese Prüfung kann man erst zu Hause durchführen. Aber ob er gut oder eher schimmlig riecht, das merkt man schon. Und dann geht’s natürlich auch um das übliche Feilschen.« Käthe hob verschwörerisch die Brauen.
»Ja, aber … Dann sind die Männer da … Sind das etwa auch Samenhändler? Ich dachte, nur Helmut und sein Bruder …«
Käthe schaute noch verständnisloser drein als zuvor. Im nächsten Moment brach sie in schallendes Gelächter aus. Sofort drehten sich einige Köpfe zu ihnen um.
»Sie dachten allen Ernstes, die Kerners wären die … Einzigen ?« Schon prustete sie wieder los. Unter Tränen sagte sie: »Wir alle, wir alle hier sind doch Samenhändler!«
Wir alle ? Was meinte sie nur damit? Hannah runzelte die Stirn.
Die Wirtstochter sah Hannah nachdenklich an. Gleichzeitigversuchte sie ihre Mutter, die wild gestikulierend hinter der Theke stand, mit einem Winken zu besänftigen. Seufzend ließ sie sich dann Hannah gegenüber nieder.
»Eigentlich habe ich ja keine Zeit, aber ich glaube, jemand sollte Sie dringend über Gönningen aufklären …«
… bevor Sie sich weiterhin lächerlich machen, glaubte Hannah unausgesprochen zu hören.
»Also …«
»Helmut, warte einen Moment!«
Helmut hatte die Tür zum Wirtshaus noch nicht geschlossen, als Emma Steiner ihn schon am Ärmel packte und zur Seite zog.
Ungeduldig schaute er seinem Vater und Valentin nach, die auf die Mitte des Raumes zusteuerten. Ihn dürstete nach einem ordentlichen Krug Bier, nach den anderen Männern und ihren Erzählungen, nach einem derben Witz oder auch zweien.
Er war erst gestern wieder nach Hause gekommen. Fast vier Monate waren er und sein Bruder
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