Die Samenhändlerin (German Edition)
fragte er leise zum zweiten Mal. Wenigstens gelang es ihm, seine Hand aus ihrer Umklammerung zu befreien. Er trat einen Schritt zurück und verschränkte beide Arme vor der Brust.
Das Strahlen auf Hannahs Gesicht erlosch und wich einem Ausdruck von Entschlossenheit.
»Wir müssen miteinander reden.«
6
»Sag mal, kenne ich die nicht irgendwoher?«, raunte Valentin seinem Bruder zu, als sich dieser endlich mit versteinertem Gesicht neben ihn setzte.
Mehr als einmal hatte sein Vater Valentin einen Stoß in die Rippen versetzt und ihn aufgefordert, nach Helmut zu schauen. »Was haben die beiden so lange zu bereden?«, hatte Gottlieb Kerner ihm zugezischt. »Das schickt sich nicht, sag das deinem Bruder!«
Doch jedes Mal hatte Valentin so getan, als höre er ihn nicht. Dabei hatte er die ganze Zeit ein Auge auf Helmut und die Frau gehabt, die sich angeregt, wenn nicht gar aufgeregt zu unterhalten schienen.
»Wo ist die denn jetzt hin?«
»Später«, murmelte Helmut und nickte seinem Vater beschwichtigend zu, die anderen Blicke und Sticheleien am Tisch ignorierend. Wenn jemand eine spannende Geschichte erwartet hatte, wurde er enttäuscht – Helmut ging mit keinem Wortauf seine Begegnung mit der schönen Unbekannten ein. Stattdessen hob er seinen Krug mit dem inzwischen schal gewordenen Bier und leerte ihn auf einen Zug. Die anderen Männer grinsten. Gespräche mit Frauen konnten ganz schön durstig machen.
Die Geschäfte mit den Ulmer Gärtnern waren inzwischen fast abgewickelt. Wie immer hatte Gottlieb Kerner die größte Bestellung in Auftrag gegeben. Valentin hatte Dutzende von Samensorten notiert, welche die Ulmer fürs nächste Jahr liefern sollten. Und ebenfalls wie immer hatte es zwischen Vater und Sohn Diskussionen über die Auswahl und die Mengen gegeben. Gottlieb Kerner bestand auf den üblichen Sorten, Valentin war dafür, auch ein paar der Neuzüchtungen ins Programm aufzunehmen. Die Kunden wollten Abwechslung, argumentierte er, während sein Vater dagegenhielt, mit den altbekannten Sorten auf der sicheren Seite zu sein. Die Gärtner hoben die Qualität auch der neuen Sorten hervor, ganz gleich, ob es sich um die Gurke »Unikum« oder die Mohrrübe »Guérande« handelte. Da nur er, Valentin, sich mit seinem Vater einig werden musste, weil Helmut offensichtlich anderweitig beschäftigt war, hatte die Angelegenheit ein relativ zügiges Ende gefunden. Natürlich wurde dabei trotzdem gefeilscht auf Teufel komm raus. Sie würden bis aufs letzte Hemd ausgezogen, hatten die Ulmer gejammert, am Ende aber fast allen Forderungen nachgegeben. Gottlieb Kerner war zufrieden. »Im Einkauf liegt der Verdienst« – das war seine Devise, und nach der handelte er.
Auch die anderen Samenhändler am Tisch schienen mit ihren Einkäufen zufrieden zu sein und steuerten nun dem wichtigsten Teil des Geschäftes entgegen: dem zünftigen Begießen des abgeschlossenen Handels. Käthe Steiner konnte die Krüge Bier nicht schnell genug nachfüllen. So flink wie möglich humpelte sie zwischen Theke und Wirtsraum hin und her.
Schon bald bestellten die Männer zwei Flaschen Kirschwasser und schenkten sich dieses in kleine Becher selbst ein.
Als die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht hatte, stand Helmut abrupt auf und bedeutete seinem Bruder, ihm nach draußen zu folgen.
Die kalte Luft traf Valentin wie ein Fausthieb.
»O verdammt, ich habe zu viel getrunken«, stöhnte er und musste sich am Treppengeländer festhalten. Doch ein Blick ins Gesicht seines Bruders reichte, um zumindest einen Teil des Rausches zu vertreiben. Valentin hakte sich unter und hoffte, sein Bruder hielte diese Geste für kameradschaftlich. Dass er nicht viel Alkohol vertrug, war immer wieder Gegenstand von Helmuts Lästereien.
Beide Brüder humpelten, was jedoch nicht nur von Bier und Schnaps herrührte, sondern auch von halb erfrorenen Zehen, die sie von ihrer letzten Reise mitgebracht hatten. Besonders Valentins kleiner Zeh sah Besorgnis erregend aus. Erst heute Mittag hatte der Arzt gesagt, es wäre vielleicht besser, ihn abzunehmen, doch davon wollte Valentin nichts hören. Ein paar Tage ohne lange Märsche, dazu Wärme und andere Schuhe, und es würde schon wieder werden.
»Jetzt erzähl! Was war da vorhin eigentlich los?« Valentin war in der Zwischenzeit eingefallen, woher er die Frau kannte: Es war die Wirtstochter aus dem »Goldenen Anker« in Nürnberg.
»Ich … werde … Vater«, antwortete Helmut tonlos.
»Waaas?«
»Das hat sie
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