Die Samenhändlerin (German Edition)
Valentin unterwegs gewesen. Und sosehr er sich auf Gönningen gefreut hatte, so schwer fiel ihm die Umstellung vom Reisealltag auf das Leben im Dorf. Er hatte sogar das Gefühl, als fiele ihm das Eingewöhnen nach jeder Reise schwerer. Als er am Morgen aufgewacht war, hatte er zuerst nicht einmal gewusst, wo er war. In einem Gasthof? Aber in welchem? Und wo? Als ihm schließlich klar wurde, dass er in seinem eigenen Bett lag, war er seltsam enttäuscht. Warum, hätte er nicht sagen können.
»Was gibt’s, Emma?«
»Da hinten sitzt eine junge Frau. Brettschneider heißt sie. Sie hat nach dir gefragt …«
Helmut folgte Emma Steiners Blick, doch außer dem Rücken von Käthe, ihrer Tochter, konnte er hinter dem Pfeiler niemanden erkennen. Natürlich musste Käthe ihre Nase wiederganz vorn haben! Kein Mann interessierte sich für sie – doch umso mehr interessierte sie sich für das, was andere Leute anging! Unwillkürlich zog Helmut eine Grimasse.
»Brettschneider – der Name sagt mir nichts. Was will sie denn?«
Die Wirtin verzog den Mund. »Das wird sie gerade mir auf die Nase binden! Jedenfalls dachte ich, du solltest gewarnt sein.« Schulterzuckend ging sie um die Theke herum.
»Jetzt warte doch! Irgendetwas muss sie doch gesagt haben!«
Emma Steiner verschränkte die Arme. »Tja, ich weiß nicht, ob ich dir das sagen soll. Schließlich ist sie Gast meines Hauses …«
»Emma«, brummte Helmut drohend.
Die Wirtin runzelte die Stirn. »Aus Nürnberg ist sie. Und sie hat vor, ›auf unbestimmte Zeit‹ zu bleiben …«, fügte sie mit bedeutungsvollem Blick hinzu.
Nürnberg … Da war etwas … Angestrengt versuchte Helmut, aus den vielen Eindrücken seiner letzten Reise den richtigen hervorzukramen. Ein seltsames Gefühl meldete sich in seiner Bauchgegend. Nürnberg. Von dort aus waren sie in Richtung Böhmen losgezogen. Valentin war krank gewesen, und er –
»Helmut, kommst du jetzt endlich oder willst du da vorn Wurzeln schlagen?«, ertönte die Stimme seines Vaters.
Im selben Moment schoss hinter dem Pfeiler ein Kopf hervor.
»Helmut!«
Stuhlbeine kratzten über den Boden, rote Bänder blitzten auf weißem Stoff, ein breites, kantiges Gesicht kam zum Vorschein.
Helmut blinzelte. Das – war – doch … Konnte das … konnte das sein?
Käthe Steiner sprang von ihrem Stuhl auf, hastete an ihm vorbei, unverhohlene Neugier und noch etwas anderes in ihren Augen.
Verwunderte, neugierige, aber auch neidische Blicke folgten Helmut, als er steifen Schrittes in Richtung des Tisches ging. Wer war die schöne Fremde? Und was wollte sie ausgerechnet vom ältesten Kerner-Sohn?
»Hannah?« Helmuts Tonfall war ein einziges Fragezeichen.
Wenigstens war ihm ihr Name eingefallen.
»Was machst du denn hier?«
Er hatte einen Kloß im Hals und musste jedes Wort hinauswürgen. Zögerlich reichte er ihr die Hand. Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, wurde sein Blick von ihrem Blusenausschnitt angezogen. Die Erinnerung an die Zeit in Nürnberg durchdrang unvermittelt sein Bewusstsein. Ihm wurde heiß.
Diesen Tag hatte er gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser: den Tag, an dem eine seiner Liebschaften ihn bis hierher verfolgen würde. Verflixt, warum hatte er sich ausgerechnet mit einer Wirtstochter einlassen müssen? Die nur im Gästebuch nachzulesen brauchte, um seine in steifen Lettern geschriebene Adresse herauszubekommen?
»Ich habe dich gesucht«, antwortete Hannah mit bebenden Lippen. Ihre Wangen waren gerötet, ihr linkes Lid zuckte. Sie schien sehr aufgeregt zu sein. Krampfhaft umklammerte sie Helmuts Hand. »Ach, ich freue mich so, dich wiederzusehen!« Hannah strahlte und schien ihre Worte ernst zu meinen.
Helmut konnte ihre Freude über das Wiedersehen schwerlich teilen. Sein Körper versteifte sich, und er presste die Lippen zusammen. Ihm war die lange Berührung vor so vielen Leuten unangenehm. Da stand er mit einer wildfremden Frau und hielt ihre Hand – das würde ein Gerede geben! Bestimmt würde Seraphine gleich morgen früh davon wissen. Und die befürchtete doch schon bei jedem harmlosen Gruß, den er einem Weib auf der Straße zurief, dass er diesem schöne Augen machte.
Ohne große Hoffnung wartete er auf irgendeine belangloseBemerkung der Wirtshaustochter. »Ich bin auf der Durchreise …« Doch ein Mädchen wie Hannah war nicht auf der Durchreise, und selbst wenn, dann landete es dabei ganz gewiss nicht am Fuße der Schwäbischen Alb.
»Was machst du denn hier?«,
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