Die Samenhändlerin (German Edition)
paar Tage warten, dann kann ich doch mit …« Jetzt nur nicht heulen, diesen Triumph gönnst du ihr nicht, sagte eine Stimme in Hannahs Innerem, doch die erste Träne lief bereits über ihre Wange. Allein in diesem schrecklichen Haus, niemand da in der Nacht, ringsum Geräusche, die sie nicht kannte. Die Vorstellung ließ sie zittern.
»Und was wäre, wenn du hier in der Gegend verkaufen würdest? Evelyn könnte dich zu den umliegenden Gehöften führen, und abends wärt ihr wieder hier – das ist doch eine gute Idee!«
»Einem anderen Samenhändler ins Handwerk pfuschen – wirklich eine gute Idee! Helmut würde vor Begeisterung bestimmt Beifall klatschen.«
Mit einem Seufzer stand Seraphine auf.
»Andererseits befinden wir uns natürlich in einer Notsituation …«
Hannah nickte eifrig. »Ich weiß, dass es in Gönningen als unehrenhaft gilt, wenn man einen fremden Samenstrich nicht respektiert, aber bestimmt werden die Leute daheim Verständnis für unsere missliche Lage haben!« Schon fühlte sie sich besser. Wenn sich Seraphine geschickt anstellte und gut verkaufte, würden sie in ein paar Tagen nach Hause können und –
»Unehrenhaft – eine schmeichelhafte Umschreibung, die du da verwendest. In Gönningen gilt das, was wir vorhaben, fast als ein Verbrechen!«, entgegnete Seraphine barsch und schautekopfschüttelnd auf Hannah hinab. »Es ist doch erstaunlich. Du meinst es immer so gut und machst dadurch allen das Leben schwer! Das ist schon eine besondere Gabe …«
»Also hör mal! Dass ich in diese dumme Falle getreten bin, dafür kann ich weiß Gott nichts! Du hättest genausogut hineingeraten können, so, wie du die ganze Zeit vorweg gestürmt bist!«, brauste Hannah auf. »Wenn jemand an unserer misslichen Lage schuld ist, dann deine liebe Evelyn – sie hat die Falle schließlich ausgelegt!« Sie atmete tief durch. Es tat gut, sich endlich wieder einmal Luft zu machen. Fortan würde sie sich nicht mehr unterkriegen lassen, weder von ihren Schmerzen noch von Seraphines Feindseligkeit oder Evelyns –
»Ach Hannah, wenn du nicht immer so engstirnig denken würdest«, sagte Seraphine in einem Ton, den sie genauso einem Tor gegenüber hätte anschlagen können. »Es fing doch schon mit dem unsinnigen Vorschlag an, überhaupt auf diese Reise zu gehen. Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum ich nicht sofort begeistert zugestimmt habe?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Hannah mit blitzenden Augen. »Wenn’s um Arbeit geht, verstehst du es meistens sehr gut, dich zu drücken!«
Seraphines Lachen perlte von ihren Lippen wie Wasser vom Gefieder einer Ente.
»Die faule Seraphine – wie einfältig! Und so bequem für dich, nicht wahr? Aber leider liegen die Dinge ein wenig anders, meine Liebe!«
Na wunderbar – nun hatten sie einen deftigen Streit vom Zaun gebrochen. Eine passendere Gelegenheit hätten sie weiß Gott nicht finden können! Erbittert hob Hannah ihr pochendes Bein an, um es auf die Bank zu legen. Dabei war es doch noch gar nicht lange her, dass Seraphine ihr die Freundschaft angeboten hatte. Nun sah man ja, was davon zu halten war.
»Bestimmt wirst du mich gleich aufklären. Also, was ist?«,schob sie hinterher, als Seraphine nicht gleich antwortete. Da wurde sie auf einmal unsicher. Wie sie zur Seite schaute, so schuldbewusst, so …
»Eigentlich wollte ich es dir gar nicht sagen«, hob Seraphine stockend an, doch dann fixierte sie Hannah mit ihrem Blick. In ihren Augen lag ein Glitzern, das nicht im Geringsten zu ihrer Zögerlichkeit passte. »Aber vielleicht ist es doch besser, wenn du die Wahrheit erfährst: Was den Raubüberfall in Wien angeht, haben Helmut und Valentin uns eine ordentliche Lügengeschichte aufgetischt! Sie haben sich nämlich mit irgendwelchen Frauen eingelassen und sind von denen ganz schön genarrt worden!«
»Was? Frauen? Ich verstehe dich nicht. Was redest du denn da?« Unwillkürlich rappelte sich Hannah auf und verschränkte die Arme vor der Brust, als könne sie sich so gegen etwas zur Wehr setzen.
Auf Seraphines Lippen tanzte ein boshaftes Lächeln.
»Wenn du es deutlicher haben willst, bitte: Dein lieber Mann hat herumgehurt und ist dabei auf die Nase gefallen! Deshalb habe ich nicht eingesehen, dass wir ihnen aus der Patsche helfen. Diese Suppe haben sich die Männer eingebrockt, sie hätten sie auch ganz allein auslöff …«
Mit einer hektischen Handbewegung unterbrach Hannah Seraphines Redefluss.
»Woher weißt du … Das
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