Die Samenhändlerin (German Edition)
doch an: Auch du vertust Jahre damit, tatenlos auf die Erfüllung eines Traumes zu warten. Und kommst dabei nicht von der Stelle. Du hoffst, dass dir ein ›gutmeinendes Schicksal‹ hilft. Dem du zur Not sogar noch auf die Sprünge helfen würdest … Himmel, weißt du eigentlich, was das bedeuten würde?«
Unvermittelt packte sie Seraphines Hand und drückte sie so fest, dass die Knöchel ganz weiß wurden.
»Du hast doch einen guten Mann! Warum vergisst du nicht deinen alten Traum von der großen Liebe und gibst dich mit dem zufrieden, was du hast? Warum lebst du nicht einfach dein Leben? Es geht auch ohne diesen Helmut.«
Seraphine zuckte mit den Schultern – eine Geste, die Evelyn so nicht erwartet hatte und nicht zu deuten wusste. »Und warum …«
Kraftlos gab Evelyn Seraphines Hand frei. Sie hatte alles gesagt, alles gegeben. Warum mache ich mir eigentlich solch eine Mühe?, fragte sie sich stumm. Was geht es mich an, ob sich diese Fremde ihr Leben verpfuscht oder nicht?
»Warum scherst du dir die Haare und läufst herum wie eine Sünderin? Du hast doch nichts falsch gemacht!«
Evelyn blinzelte. Die Haare? Die Haare … Als sie endlich verstand, lachte sie schrill auf. Erst als sie sich an die Schlafende auf der Bank erinnerte, schlug sie eine Hand vor den Mund.
»Läuse waren das! Ich hatte Läuse, deshalb habe ich meine Mähne abgeschnitten, einen anderen Grund hat das nicht!«
Dass Seraphine in dieser Nacht nicht schlief, hatte nichts mit dem harten Dielenboden zu tun, auf dem Evelyn ihr ein Lager bereitet hatte. Auch nichts mit Hannah, die im Schlaf bei jeder Bewegung leise stöhnte. Sondern damit, dass die Gedanken wie wild gewordene Hummeln durch ihren Kopf rasten, gegen die Schädeldecke stießen, zitternd und wirr weiterflogen.
Welche Himmelsmacht hatte sie ausgerechnet hierher, zu Evelyn, gebracht? Auf diesen Hof, bei dessen Anblick ihr die Galle hochgekommen war. Dem sie sich mit so viel Widerwillen genähert hatte.
Ach, hatte es gut getan, sich endlich einmal alles von der Seele reden zu können. Dabei hätte sie sich zuerst fast nicht getraut – immerhin war Evelyn eine wildfremde Frau! Aber genau dieser Gedanke hatte sie schließlich beruhigt, und ehe sie sich versah, war sie mitten im Erzählen gewesen. Du triffst sie nie wieder, es kann dir gleich sein, was sie von dir denkt, hatte sie sich gesagt.
Was war Evelyn nur für eine kluge Frau! Und so viel mutiger, als sie, Seraphine, es bisher zu sein wagte. Evelyn hatte ihr Leben wahrlich in die Hand genommen! Dass sie ihren Mutund ihre Tatkraft selbst so herunterspielte, ja, fast schlecht davon redete, zeugte nur davon, wie bescheiden sie war.
Evelyn konnte zuhören und hatte schließlich auch sehr offene Worte gefunden, als es um Seraphines Leben ging. Wie hatte sie sich ausgedrückt?
»Du vertust Jahre damit, tatenlos auf die Erfüllung eines Traumes zu warten.« Bei diesen Worten wäre Seraphine fast vom Stuhl gefallen. Evelyn hatte den Nagel auf den Kopf getroffen! Eine Fremde hatte ausgesprochen, was sie selbst nicht hatte wahrhaben wollen.
Jahrelang hatte sie herumgesessen und gewartet … Worauf eigentlich? Auf einen großen Donner, der Hannah mit einem Schlag vom Erdboden gewischt hätte? Darauf, dass sich Valentin in Luft auflöste? Dass Helmut sie an die Hand nahm und über die sieben Weltmeere entführte, damit sie irgendwo in fremden Landen glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende zusammen waren?
Dumme, dumme Kuh.
Da saß sie und wartete und litt. Litt an der absoluten Liebe, statt zu erkennen, dass man für die absolute Liebe etwas tun musste. Plötzlich verspürte sie eine bislang unbekannte Kraft in sich. Als ob sie aus einem langen Winterschlaf erwacht wäre.
Seraphine runzelte die Stirn. Dazu passte haargenau, was Evelyn noch gesagt hatte: »Schau dich doch an, du kommst nicht von der Stelle, weil du tatenlos auf höhere Himmelsmächte wartest.«
Nun, ganz so tatenlos war sie nicht gewesen, besänftigte Seraphine sich selbst. Aber rückblickend kamen ihr die kleinen Sticheleien und Gemeinheiten, die sie Hannah zugefügt hatte, kindisch vor. Als ob ein grobschlächtiges Weib wie die Schwägerin sich davon hätte einschüchtern lassen!
Ja, Evelyn war eine kluge Frau. Eine weise Frau.
Aber in einem Punkt musste Seraphine ihr widersprechen: Niemals würde sie Helmut so einfach vergessen können!
Als ob das möglich wäre! Helmut war ihr Leben!
Wenn es ihn nicht geben würde, dann
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