Die Samenhändlerin (German Edition)
endlich von diesem schrecklichen Hof und dieser schrecklichen Frau weg, sagte sie sich immer wieder, nur um am nächsten Morgen mit demselben geschwollenen Fuß aufzuwachen, mit dem sie eingeschlafen war.
Die Tage begannen mit einem bestimmten Ritual: Kaum waren sie wach, kamen Evelyn und Seraphine zu Hannah an die Bank. Evelyn lupfte die Decke, wickelte die Lumpen mit der Kräuterpaste ab, und dann starrten alle drei Frauenerwartungsvoll auf Hannahs Bein. Beim Anblick der missmutigen Gesichter der beiden anderen fühlte sich Hannah täglich mehr als Versagerin. Ihr Fuß war es, der nicht heilen wollte, sie war für Evelyn ein ungebetener, lästiger Gast, sie brachte sämtliche Reisepläne durcheinander, verursachte Kosten und Unannehmlichkeiten, und zwar ausgerechnet jetzt, wo die Familie sowieso schon einen Schicksalsschlag hatte hinnehmen müssen.
Dabei hatte sie doch nur helfen wollen …
»Wir müssen miteinander reden.« Es war ihr fünfter Tag auf dem Hof. Seraphine war nicht wie an den Tagen zuvor mit Evelyn nach draußen gegangen, sondern setzte sich mit einem Becher Most an Hannahs Lager.
Blasse Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster und hinterließen auf Seraphines Haar einen hellen Glanz. Wie schön sie ist!, dachte Hannah unwillkürlich. Fahrig tastete sie nach ihrem stumpfen Schopf, der eine Wäsche dringend nötig gehabt hätte.
»Was gibt’s?«, fragte sie mürrisch, während sie aus dem Fenster starrte. Direkt davor streckte sich eine der letzten Rosen der Sonne entgegen, ihre Blätter waren an den Rändern schon dunkel und welk, ausgelaugt nach einem langen Sommer. Bald würde wieder alles grau in grau sein, keine Farben mehr, keine Blumen. Und der Winter so lang …
Kurz vor ihrer Abreise hatte Hannah mehrere Dutzend Tulpenzwiebeln in Wilhelmines Vorgarten gesetzt, als hoffe sie, dadurch dem farblosen Winter etwas entgegenzusetzen. Stunde um Stunde hatte sie mit einer kleinen Schaufel Löcher in die Erde gebohrt, und auch Flora hatte mit ihren bloßen Händen in der Erde gewühlt. Es war ein fröhlicher Nachmittag gewesen. Wilhelmine beklagte zwar die Kosten der vielen Zwiebeln, aber Hannah ließ sich nicht abhalten. »So haben wir jetzt schon etwas, worauf wir uns fürs kommende Frühjahr freuenkönnen!«, argumentierte sie. Am Ende brachte Helmut ihr noch einen weiteren Korb Tulpenzwiebeln. Sie waren seiner Ansicht nach von zu geringer Qualität, als dass er sie seinen böhmischen Kunden anbieten wollte. Hannah hatte nie erfahren, ob er dieses Argument lediglich vorschob, um ihr eine Freude zu machen.
Wer weiß, ob ich bis zum Frühjahr überhaupt wieder im Garten oder auf den Feldern arbeiten kann, schoss es ihr nun durch den Kopf. Wer weiß, ob das Bein jemals wieder gesund wird … Sie biss sich auf die Lippe, um einen Schluchzer zu unterdrücken. Verdammt, verdammt, verdammt!
»Hallo, hörst du mir eigentlich zu?« Seraphine rüttelte an ihrem Arm. »So, wie es aussieht, fällst du noch für einige Zeit aus. Es ist also nicht daran zu denken, dass wir beide ins Elsass weiterreisen …«
Hannah atmete auf. Sie hatte nicht diejenige sein wollen, die vorschlug, Wagen und Fahrer für den Heimweg nach Gönningen zu organisieren. Aber da Seraphine nun selbst …
»Unsere Zwerchsäcke sind noch voll, Gottliebs Kunden warten auf ihre Ware und wir auf deren Geld!«, sagte Seraphine vorwurfsvoll.
Hannah runzelte die Stirn. Seit wann machte sich ihre Schwägerin solche weit reichenden Gedanken? Wieder einmal erstaunte sie Seraphines neue Tatkraft, und sie fragte sich, ob ihr die alte Seraphine mit dem stets verträumten, abwesenden Blick, den tiefen Seufzern und der ständigen Müdigkeit nicht doch lieber gewesen wäre.
»Und? Was schlägst du vor?«
»Dass Evelyn und ich ins Elsass reisen. Bis wir zurückkommen, wird dein Fuß ja hoffentlich wieder geheilt sein, so dass wir an den Heimweg denken können. Wir müssten Evelyn natürlich an den Gewinnen beteiligen, das ist klar, aber –«
»Du kannst mich doch nicht hier allein lassen!« VollerEntsetzen klammerte sich Hannah an Seraphines Ärmel, als wolle sie schon just in diesem Moment aufbrechen.
»Hannah, ich bitte dich, stell dich nicht so an! Soll ich etwa allein reisen? Du weißt doch, dass die Gefahr dann noch viel größer ist! Denk nur an meinen Vater!« Mit kalten Fingern löste Seraphine Hannahs Hand von ihrem Arm und rückte ein Stück von der Schwägerin ab.
»Natürlich nicht! Aber vielleicht … Wenn wir noch ein
Weitere Kostenlose Bücher